Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
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Kann die Ignoranz-Hypothese die Weltungleichheit erklären? Ist es möglich, dass afrikanische Länder ärmer als die übrige Welt sind, weil all ihre Führer die gleiche irrtümliche Meinung darüber haben, wie man einen Staat lenkt, und dadurch Armut erzeugen, während westeuropäische Regierungschefs besser informiert sind oder besser beraten werden, was ihren relativen Erfolg verständlich macht? Zwar gibt es eine Fülle einschlägiger Beispiele dafür, dass führende Politiker katastrophale Entscheidungen treffen, weil sie die Konsequenzen falsch einschätzen, doch kann Ignoranz bestenfalls für einen kleinen Teil der Weltungleichheit verantwortlich gemacht werden.
Auf den ersten Blick wurde der anhaltende wirtschaftliche Niedergang, der kurz nach der Unabhängigkeit von Großbritannien in Ghana einsetzte, durch Ignoranz verursacht. Der britische Ökonom Tony Killick, der damals als Berater für die Regierung von Kwame Nkrumah arbeitete, beschrieb viele der Probleme im Detail. Nkrumahs politische Maßnahmen dienten der Entwicklung der Staatsindustrie, die sich als sehr ineffizient erwies. Killick erinnerte sich:
Die Schuhfabrik … die Teil einer durch Transportwege verbundenen Kette aus der Fleischfabrik im Norden und der Beförderung der Rinderhäute nach Süden (über eine Entfernung von mehr als 800 Kilometern) zu einer (nun leer stehenden) Gerberei bildete; diese Kette setzte sich durch den anschließenden Rücktransport des Leders zu der Schuhfabrik in Kumasi im Zentrum des Landes ungefähr 300 Kilometer nördlich von der Gerberei fort. Da sich der wichtigste Schuhmarkt in der großstädtischen Gegend von Accra befindet, mussten die Schuhe dann zusätzliche 300 Kilometer zurück nach Süden transportiert werden.
Killick bemerkt mit einigem Understatement, dass dies ein Projekt gewesen sei, »dessen Lebensfähigkeit durch eine schlechte Standortwahl untergraben wurde«. Die Schuhfabrik gehörte zu vielen derartigen Unternehmungen, ähnlich wie die Mango-Konservenfabrik in einem Teil von Ghana, in dem keine Mangos angebaut werden konnten, und deren Produktionskapazität gleichwohl so ausgelegt war, dass sie mehr als die gesamte Weltnachfrage abdeckte. Diese endlose Folge wirtschaftlich unsinniger Projekte war nicht darauf zurückzuführen, dass Nkrumah oder seine Berater schlecht informiert gewesen wären oder keinerlei Wissen über die geeigneten Wirtschaftsmaßnahmen besessen hätten. Unter den Beratern befand sich neben Kapazitäten wie Killick auch der Nobelpreisträger Sir Arthur Lewis, und alle waren sich über die Untauglichkeit der eingeschlagenen Wirtschaftspolitik im Klaren. Doch die Maßnahmen wurden dadurch bestimmt, dass Nkrumah sich politische Unterstützung erkaufen musste, um sein undemokratisches Regime aufrechtzuerhalten.
Weder Ghanas enttäuschende Wirtschaftsleistung nach der Unabhängigkeit noch die zahllosen anderen Fälle von Misswirtschaft können schlicht auf die Ignoranz der Entscheider geschoben werden. Wäre Unkenntnis wirklich das Problem, würden gutgesinnte Regierungschefs rasch herausfinden, durch welche Aktionen das Einkommen und das Wohl ihrer Bürger zu verbessern wären, und ihre Politik entsprechend ändern.
Betrachten wir die unterschiedlichen Wege der Vereinigten Staaten und Mexikos. Die Disparität zwischen ihnen auf die Unkenntnis der Entscheidungsträger in Mexiko zurückzuführen wäre bestenfalls unplausibel. Es waren nicht die Unterschiede im Wissen oder in den Absichten von John Smith und Cortés, welche die Divergenz in der Kolonialzeit begründeten, und es waren nicht die Wissensunterschiede zwischen späteren US-Präsidenten wie Teddy Roosevelt oder Woodrow Wilson einerseits und Porfirio Díaz andererseits, die Mexiko am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts veranlassten, Wirtschaftsinstitutionen einzurichten, welche die Eliten auf Kosten der übrigen Gesellschaft reich machten, während Roosevelt und Wilson umgekehrt handelten. Ursächlich waren vielmehr die unterschiedlichen institutionellen Zwänge und Restriktionen in den jeweiligen Ländern. Auch ließen die Führer afrikanischer Staaten, die im letzten halben Jahrhundert unter unsicheren Eigentumsrechten und unzuverlässigen Wirtschaftsinstitutionen und in der Folge unter der Verarmung eines hohen Bevölkerungsanteils litten, diese Vorgänge nicht deshalb zu, weil sie das fälschlicherweise für eine gute Wirtschaftspolitik gehalten hätten. Sie agierten vielmehr so, weil sie
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