Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
später noch gründlicher erläutern werden, nicht deshalb, weil die Kommunistische Partei Chinas endlich begriffen hätte, dass landwirtschaftliches und industrielles Kollektiveigentum keine ausreichenden wirtschaftlichen Anreize setzt. Vielmehr besiegten Deng Xiaoping und seine Verbündeten, die nicht weniger eigennützig waren als ihre Rivalen, doch andere Interessen und politische Ziele hatten, ihre mächtigen Gegner in der Kommunistischen Partei und leiteten so etwas wie eine politische Revolution ein, durch die sich das Führungspersonal und die Ausrichtung der Partei radikal änderten. Ihre Wirtschaftsreformen, die Marktanreize in der Landwirtschaft und danach in der Industrie schufen, gingen aus dieser politischen Revolution hervor. Es war also die Politik, die den Wechsel von kommunistischen zu marktwirtschaftlichen Prinzipien in China bewirkte, nicht eine bessere Beratung oder ein besseres Verständnis der wirtschaftlichen Funktionsprinzipien.
Im Folgenden werden wir die These vertreten, dass man, um die Weltungleichheit zu verstehen, herausfinden muss, warum manche Länder auf sehr ineffiziente und sozial nicht wünschenswerte Art organisiert sind. Zuweilen gelingt es einigen Staaten, effiziente Institutionen aufzubauen und Wohlstand zu erreichen, aber dabei handelt es sich leider um seltene Fälle. Die meisten Ökonomen und Entscheidungsträger befassen sich damit, wie man es »richtig macht«, während in Wirklichkeit eine Erklärung dafür benötigt wird, warum arme Staaten es »falsch machen«. Letzteres wird überwiegend nicht von Ignoranz oder der Kultur bewirkt. Wie wir aufzeigen werden, befinden sich arme Länder deshalb in ihrer kläglichen Lage, weil die Machthaber armutserzeugende Entscheidungen treffen. Sie machen es nicht irrtümlich oder aus Ignoranz falsch, sondern mit Bedacht. Um dies zu durchschauen, muss man die Wirtschaftswissenschaft und die Ratschläge von Experten hinter sich lassen und untersuchen, wie Entscheidungen wirklich zustande kommen, wer sie treffen kann und warum solche Menschen einen bestimmten Weg wählen. Es geht also um eine Untersuchung der Politik und der politischen Prozesse, die von der Wirtschaftswissenschaft traditionell ignoriert werden. Doch man muss die Politik verstehen, wenn man die Weltungleichheit erklären will. Wie der Ökonom Abba Lerner bereits in den 1970er Jahren anmerkte: »Die Ökonomie hat den Titel Königin der Sozialwissenschaften erlangt, indem sie gelöste politische Probleme zu ihrem Fachgebiet machte.«
Wir werden darlegen, dass man, um Wohlstand zu erzielen, einige politische Grundprobleme lösen muss. Eben weil sie von einer Lösung der politischen Probleme ausgeht, ist die Wirtschaftswissenschaft nicht fähig, eine überzeugende Erklärung für die Weltungleichheit zu liefern. Man braucht die Wirtschaftswissenschaft nach wie vor, um zu verstehen, wie sich unterschiedliche politische Maßnahmen und Sozialstrukturen auf ökonomische Anreize und Verhaltensweisen auswirken. Aber dazu bedarf es auch der Auseinandersetzung mit der Politik.
3.
Die Schaffung von Wohlstand und Armut
Die Ökonomie am 38. Breitengrad
Im Sommer 1945, während sich der Zweite Weltkrieg seinem Ende näherte, brach die japanische Kolonie in Korea zusammen. Innerhalb eines Monats nach der bedingungslosen Kapitulation Japans am 15. August wurde Korea entlang des 38. Breitengrades in zwei Einflusssphären geteilt. Den Süden verwalteten die Vereinigten Staaten, den Norden übernahm Russland. Der unsichere Frieden des Kalten Krieges zerbrach im Juni 1950, als die nordkoreanische Armee in den Süden einmarschierte. Obwohl die Nordkoreaner zunächst weit vorstießen und die Hauptstadt Seoul eroberten, zogen sie sich bereits im Herbst wieder auf ganzer Linie zurück.
Damals wurden Hwang Pyŏng-Wŏn und sein Bruder voneinander getrennt. Hwang gelang es, sich zu verstecken und nicht von der nordkoreanischen Armee eingezogen zu werden. Er blieb im Süden und arbeitete als Apotheker. Sein Bruder, ein Arzt, der in Seoul verwundete südkoreanische Soldaten behandelte, wurde von den Nordkoreanern bei deren Rückzug mitgenommen. Die Brüder trafen einander im Jahr 2000 zum ersten Mal seit fünfzig Jahren, nachdem die Regierungen sich endlich geeinigt hatten, ein begrenztes Programm der Familienzusammenführung in die Wege zu leiten.
Als Arzt hatte Hwang Pyŏng-Wŏns Bruder Arbeit bei der Luftwaffe gefunden – in einer Militärdiktatur ein guter Posten. Aber nicht einmal
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