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Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Titel: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daron Acemoglu , James A. Robinson
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Steffens war hingerissen von dem seiner Meinung nach großen Potential des Sowjetregimes.
    »Sowjetrussland«, schrieb er in seiner Autobiographie von 1931, »hatte eine revolutionäre Regierung, welche eine Entwicklung plante. Ihr Plan bestand darin, anstatt unmittelbar Übelständen wie Armut und Vermögen, Bestechung, Vorrechten, Tyrannei und Krieg entgegenzutreten, deren Ursachen nachzuforschen und jene zu beseitigen. … Sie hatten eine Diktatur errichtet, die von einer kleinen, dazu erzogenen Minderheit unterstützt wurde, um für die Zeitspanne einiger Generationen eine wissenschaftliche Neuordnung der wirtschaftlichen Triebkräfte herzustellen und zu bewahren, damit daraus dann zunächst eine wirtschaftliche und letzten Endes auch eine politische Demokratie hervorgehen könne.«
    Nach seiner diplomatischen Mission besuchte Steffens seinen alten Freund, den Bildhauer Jo Davidson, der gerade an einer Porträtbüste des vermögenden Finanziers Bernard Baruch arbeitete. »Sie sind also in Russland gewesen«, bemerkte Baruch. Steffens erwiderte: »Ich bin in der Zukunft gewesen, und sie lässt sich machen.« Diese Aussage sollte er später so umformulieren, dass sie in die Geschichte einging: »Ich habe die Zukunft gesehen, und sie funktioniert.«
    Noch bis in die frühen 1980er Jahre hinein sahen viele Westler die Zukunft in der Sowjetunion und glaubten weiterhin, dass sie funktioniere. In gewisser Weise war dies auch der Fall, jedenfalls eine Zeitlang. Lenin war 1924 gestorben, und bis 1927 hatte Josef Stalin das Land fest im Griff. Er beseitigte seine Gegner und leitete Initiativen zur raschen Industrialisierung der Sowjetunion ein. Zu diesem Zweck stattete er die staatliche Planungsbehörde Gosplan, die 1921 gegründet worden war, mit größeren Vollmachten aus. Gosplan organisierte die Umsetzung des ersten Fünfjahresplans zwischen 1928 und 1933.
    Wirtschaftswachstum im stalinschen Stil war einfach genug: Man entwickele auf Regierungsgeheiß die Industrie und beschaffe sich die dafür notwendigen Mittel durch eine sehr hohe Besteuerung der Landwirtschaft. Der kommunistische Staat besaß jedoch kein effektives Steuersystem, weshalb Stalin die Landwirtschaft »kollektivierte«. Dies bedeutete, dass private Eigentumsrechte an Grund und Boden abgeschafft und sämtliche Menschen auf dem Lande in gigantische Kolchosen unter Leitung der Kommunistischen Partei gepfercht wurden. So wurde es viel leichter für Stalin, die Agrarproduktion an sich zu reißen und die Menschen zu ernähren, welche die neuen Fabriken bauten und betrieben. Die Konsequenzen für die Landbevölkerung waren katastrophal. Da die Kolchosen ihren Mitgliedern nicht den geringsten Anreiz boten, schwer zu arbeiten, ging die Agrarerzeugung jäh zurück. Ein so großer Teil davon wurde extrahiert, dass die Landbewohner zu verhungern begannen. Insgesamt fielen schätzungsweise sechs Millionen Menschen Hungersnöten zum Opfer, während Hunderttausende anderer während der Zwangskollektivierung ermordet oder nach Sibirien verbannt wurden.
    Weder die neu geschaffenen Fabriken noch die Kolchosen waren wirtschaftlich effizient in dem Sinne, dass sie die Ressourcen der Sowjetunion optimal nutzten. Dadurch schien die Stagnation, wenn nicht der gänzliche Kollaps der Wirtschaft vorgezeichnet zu sein. Aber die Sowjetunion wuchs zügig. Der Grund ist nicht schwer zu verstehen. Den Menschen zu gestatten, ihre eigenen Entscheidungen mit Blick auf die Märkte zu treffen, ist die beste Möglichkeit für eine Gesellschaft, ihre Mittel effizient einzusetzen. Wenn aber der Staat oder eine kleine Gruppe von Machthabern sämtliche Ressourcen kontrolliert, werden weder die geeigneten Anreize geschaffen noch die Fertigkeiten und Begabungen der Menschen effektiv genutzt. Doch in manchen Fällen kann die Produktivität der Arbeit und des Kapitals in einem Wirtschaftsbereich, etwa in der Schwerindustrie der Sowjetunion, so hoch sein, dass sogar ein Top-down-Verfahren unter extraktiven Institutionen, das diesem Sektor Ressourcen zuweist, Wachstums auslöst. Wie im dritten Kapitel beschrieben, konnten extraktive Institutionen auf karibischen Inseln wie Barbados, Kuba, Haiti und Jamaika relativ hohe Einkünfte ermöglichen, weil sie der Produktion von Zucker, einem weltweit begehrten Erzeugnis, Ressourcen zuwiesen. Die Zuckererzeugung unter Einsatz von Sklaven war gewiss nicht »effizient«, und in jenen Gesellschaften fehlte es an technologischem Wandel oder schöpferischer

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