Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
bestimmte Quadratmeterzahl Stahlblech vorsah, geriet es zu dünn. Sollten Kronleuchter in einer bestimmten Tonnenzahl angefertigt werden, fielen sie so schwer aus, dass man sie kaum an die Decke hängen konnte.
In den 1940er Jahren waren sich die Führer der Sowjetunion, allerdings nicht ihre Bewunderer im Westen, der Widersinnigkeit solcher Anreize bewusst. Sie taten so, als hätten sie es mit technischen Problemen zu tun, die behoben werden konnten. Zum Beispiel ließen sie Prämien nicht mehr auf der Grundlage der Normerfüllung zahlen, sondern gestatteten den Betrieben, einen Teil der Gewinne für Prämien abzuzweigen. Das »Profitmotiv« war für Innovationen jedoch nicht förderlicher als das Motiv der Normerfüllung. Das Preissystem, das man zur Berechnung der Gewinne anlegte, war fast völlig losgelöst vom realen Marktwert, denn anders als in der Marktwirtschaft wurden die Preise in der Sowjetunion von der Regierung willkürlich festgelegt.
Um spezifische Anreize zu schaffen, führte die Sowjetunion 1946 Innovationsprämien ein. Bereits 1918 war das Prinzip anerkannt worden, dass ein Erfinder für seine Innovation finanziell belohnt werden solle. Doch die dafür festgelegten Beträge waren niedrig und orientierten sich nicht am Wert der jeweiligen Erfindung. Dies änderte sich erst 1956, als man verfügte, dass die Prämie danach berechnet werden sollte, in welchem Maße die jeweilige Erfindung zur Produktivitätssteigerung beitrug. Da die Produktivität jedoch auf der Basis des bestehenden Preissystems kalkuliert wurde, war der Anreiz für Erfinder wiederum gering. Man könnte viele Seiten mit solchen widersinnigen Stimuli in der Sowjetunion füllen. Beispielsweise wurde die Höhe des Prämienfonds durch die Lohnsumme eines Betriebs begrenzt, was den Anreiz, eine arbeitskräftesparende Innovation zu ersinnen oder zu übernehmen, sofort verringerte.
Bei einer Betrachtung der verschiedenen Regeln und Prämien kann man die inhärenten Probleme des Systems leicht übersehen. Solange die politische Autorität und die Macht in den Händen der Kommunistischen Partei lagen, war es ausgeschlossen, die wesentlichen Anreize, Prämien hin oder her, grundlegend zu ändern. Seit ihrer Gründung hatte die KP Zuckerbrot und Peitsche – und zwar eine kräftige Peitsche – benutzt, um ihren Willen durchzusetzen. Das galt auch für die Produktivität. Etliche Gesetze wurden verabschiedet, damit Werktätige, die man für Drückeberger hielt, strafrechtlich verfolgt werden konnten. Im Juni 1940 erklärte man beispielsweise Arbeitsversäumnisse – worunter man jede über 20 Minuten hinausgehende unerlaubte Abwesenheit vom Arbeitsplatz und sogar Bummeleien bei der Arbeit verstand – zu einem kriminellen Vergehen, das mit sechs Monaten Zwangsarbeit und einer Lohnkürzung von 25 Prozent geahndet werden konnte.
Zahlreiche ähnliche Bestrafungen wurden eingeführt und mit erstaunlicher Häufigkeit verhängt. Zwischen 1940 und 1955 befand man 36 Millionen Menschen, ungefähr ein Drittel der Erwachsenenbevölkerung, solcher Delikte für schuldig. Davon wurden 15 Millionen ins Gefängnis geschickt und 250000 erschossen. Alljährlich befanden sich eine Million Erwachsene wegen Arbeitsvergehen in Haft – ganz abgesehen von den 2,5 Millionen, die Stalin im sibirischen Gulag verschwinden ließ. Trotzdem funktionierte das System nicht. Wenn man jemanden in eine Fabrik steckt, kann man ihn noch lange nicht zwingen, nachzudenken und gute Ideen zu haben, indem man ihm mit Erschießung droht. Zwangsmaßnahmen wie diese mochten eine hohe Zuckerproduktion auf Barbados oder Jamaika bewirkt haben, aber sie konnten in einer modernen Industriewirtschaft den Mangel an Stimuli nicht wettmachen.
Die Tatsache, dass es unmöglich war, in einer zentralen Planwirtschaft wirkungsvolle Anreize zu schaffen, ließ sich nicht auf technische Fehler bei der Gestaltung des Prämiensystems zurückführen. Der Grund lag vielmehr in der Methode, mit der man extraktives Wachstum erzielt hatte. Regierungsbefehle konnten dazu beitragen, einige Grundprobleme zu lösen, doch ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum erfordert, dass die Beteiligten ihre Begabung und ihre Ideen nutzen, was ein System sowjetischen Stils gerade verhindert. Die Machthaber in der UdSSR hätten ihre extraktiven Wirtschaftsinstitutionen aufgeben müssen, aber durch einen solchen Schritt wäre ihre politische Macht gefährdet worden. Tatsächlich zerbröckelte die Macht der
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