Warum tötest du, Zaid?
geworden. Er ist ein Mann, den man in Friedenszeiten zum Abschied gerne umarmen würde – auch wenn man nicht alle seine Ansichten teilt.
Aber im Irak herrscht Krieg. Also verneigen wir uns nur voreinander und wünschen uns alles Gute – Salam alaikum, Friede sei mit Ihnen!
Ahmad
Die Hitze im Raum ist inzwischen fast unerträglich. Aber plötzlich bekommen wir Strom, und die Klimaanlage beginnt ächzend zu arbeiten. Langsam wird es kühler, trotzdem haben wir bestimmt über 40 Grad im Raum.
Ich sitze noch über meinen Notizen und versuche Ordnung in meine Gedanken zu bringen, da steht schon ein weiterer Gesprächspartner vor mir. Fast schüchtern fragt er, ob er sich setzen dürfe. Es ist Ahmad. Er stammt aus Ramadi, ist groß und schlank und trägt einen sorgfältig geschnittenen, schmalen Kinnbart. Ahmad hat ein graues orientalisches Langhemd, einen Kaftan, an, ist dreißig Jahre alt, unverheiratet und war früher Bauarbeiter.
Auch Ahmad wischt sich immer wieder den Schweiß von der Stirn. Anders als ich stillt er seinen Durst nicht mit Wasser, sondern mit heißem, süßem Schwarztee. Ahmad ist bleich, auffallend scheu und nicht sehr gesprächig. Leise und stockend erzählt er seine Geschichte.
An einem sonnigen Tag im Herbst 2006 schlenderte er mittags durch die fast menschenleeren Straßen von Ramadi, um etwas einzukaufen. Er ging ziemlich langsam, weil es sehr heiß war. Er hatte an diesem Tag frei und konnte sich Zeit lassen. Gemächlich bog er in die Ishrin-Straße, die 20. Straße, ein.
Ahmad sah die amerikanischen Scharfschützen nicht, die auf den Dächern der Gebäude im Zentrum Ramadis lagen und ihn ins Visier nahmen. Er weiß nicht, warum sie auf ihn schossen. Er hatte nichts mit dem Widerstand zu
tun und war dankbar für jeden Tag, an dem er unbehelligt blieb und Arbeit hatte. Mit dem wenigen Geld, das er verdiente, konnte er mithelfen, seine Familie einigermaßen über Wasser zu halten.
Die Scharfschützen zielten ihm genau zwischen die Beine. Sie schossen ihm die Hoden weg und verletzten seine Genitalien schwer. Ärzte in Ramadi flickten ihn notdürftig wieder zusammen, aber viel gab es nicht mehr zu retten. Wochenlang lag Ahmad im Krankenhaus. Auch heute ist er noch immer in ärztlicher Behandlung, weil seine Wunden nicht heilen.
Ahmad erzählt, er habe gewusst, dass es in Ramadi amerikanische Scharfschützen gebe. Aber er habe nicht gewusst, dass sie auf einfache Passanten schössen. Die Positionen der Scharfschützen würden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt – sie seien im Voraus nie bekannt. Manchmal drängen sie in Wohnungen ein und benutzten Kinder als Geiseln. Den Rest der Familie sperrten sie in ein Zimmer ein, damit niemand Kontakt zur Außenwelt aufnehmen könne.
Er wisse bis heute nicht, was die militärische Aufgabe der Scharfschützen sei. Man erzähle sich, dass sie untereinander Wetten abschlössen, wer pro Tag die meisten Volltreffer schaffe. Seit seiner schweren Verletzung unterstütze er den Widerstand, so weit er könne.
Ahmads Gesicht zeigte während des ganzen Gesprächs keinerlei Regung. Er sprach sehr leise und will einfach nicht mehr weitererzählen. Genauso scheu, wie er gekommen ist, steht er auf und verabschiedet sich. Dann geht er in den Garten zurück, wo die übrigen Widerstandskämpfer sitzen.
Yussuf
Inzwischen ist die Klimaanlage erneut ausgefallen. Es darf wieder geschwitzt werden. Ich brauche dringend eine Pause. Ich will Abu Saeed gerade sagen, dass es mit meiner geistigen Aufnahmefähigkeit trotz der Unmengen von Wasser, die ich getrunken habe, nicht mehr weit her sei. Da steht plötzlich in einer weißen Dishdasha Yussuf vor mir. Sein Haupt ist mit einem weißen arabischen Kopftuch mit dicken schwarzen Zierkordeln bedeckt.
Endlich ein arabischer Widerstandskämpfer, der aussieht, wie man sich im Westen arabische Muslime vorstellt, denke ich. Aber zu meiner großen Überraschung ist Yussuf kein muslimischer, sondern ein christlicher Widerstandskämpfer. Er ist fünfunddreißig Jahre alt, groß und kräftig.
Auf seinen Gesichtszügen liegt während unseres Gesprächs fast immer ein heiteres Lächeln. Er sei Händler, da empfehle es sich, einnehmend zu lächeln, erklärt er mir, als ich ihn nach dem Grund seiner guten Laune frage. Mit seinen schlanken Fingern spielt Yussuf ständig an einer schwarzen Perlenkette. Aber die Kette ist kein Rosenkranz, sondern ein sogenannter Subhah, eine arabische Gebetskette.
Yussuf ist nur einer von vielen
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