Warum tötest du, Zaid?
einfach erschossen.
Rami presst seine Lippen aufeinander und macht eine lange Pause. Als er die Fassung wiedergewonnen hat, sagt er, mühsam nach Worten ringend, die Besatzungstruppen machten das häufig so. Wenn sie eine gesuchte Person nicht fänden, erschössen sie ein anderes Familienmitglied oder schleppten deren Verwandte ins Gefängnis.
Wenn ich seine Geschichte nicht glaubte, solle ich die Geschichte von Abeer, jenem kleinen Mädchen aus Mahmoudija, lesen, das zuerst vergewaltigt und dann mitsamt seiner Familie von Angehörigen einer US-Einheit umgebracht worden sei. 18 Dies sei nur eines von vielen Beispielen der Brutalität der Besatzungstruppen. Wieder schweigt er minutenlang.
Dann fährt er stockend fort. In der Regel würden diese Dinge mit dem Mantel des Schweigens zugedeckt. Nur wenn durch mutige Journalisten etwas an die Öffentlichkeit dringe, gehe man gegen die Täter vor. Er glaube, dass er nie mehr lächeln könne. Die amerikanischen Soldaten hätten sein Lächeln für immer aus seinem Herzen und seinem Gesicht geschossen.
Und dann sagt er diesen Satz, den ich im Irak unter keinen Umständen hören wollte und der mir schon einmal bei der Vorbereitung meiner Reise fast das Blut in den Adern gerinnen ließ: »Deshalb kämpfe ich für Al-Qaida.«
Ich springe erregt auf und sage zu Abu Saeed, er wisse
doch genau, dass ich jede Begegnung mit Al-Qaida vermeiden wollte. Aber Abu Saeed blickt unschuldig zurück und meint, ich hätte mir doch einen repräsentativen Überblick über alle im Irak kämpfenden Gruppen verschaffen wollen, und den hätte ich jetzt. Es fehlten nur noch die schiitischen Milizen. Damit könne er jedoch leider nicht dienen.
Al-Qaida sei im Nachkriegs-Irak leider eine Realität, wenn auch eine von den USA importierte. »Sie wollten sehen, was die Invasion im Irak angerichtet hat. Deshalb habe ich Sie mit einem Al-Qaida-Kämpfer zusammengebracht. Die irakische Al-Qaida ist eines der Ergebnisse der amerikanischen Invasion. Unter Saddam Hussein wurde jeder religiöse Extremist verfolgt – für Ihre Vorstellung vielleicht zu gnadenlos. Aber er wurde verfolgt. Unter Saddam hätte Al-Qaida im Irak nie eine Chance gehabt.«
Auch Rami ist aufgestanden. Er hat nicht verstanden, was wir sagen, aber er ahnt, dass es um ihn und Al-Qaida geht. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich wollte diese Situation aus vielen Gründen, auch wegen meiner persönlichen Sicherheit, vermeiden. Aber jetzt ist sie da. Ich kann das Gespräch nicht zurückdrehen. Zögernd setze ich mich wieder hin und gebe auch Rami ein Zeichen, sich zu setzen.
Ich frage ihn, wie er auf die Wahnsinnsidee gekommen sei, sich einer Mörderbande anzuschließen, die Tausende von Zivilisten auf dem Gewissen habe und das Ansehen des Islam ruiniere. Rami schaut mich ruhig an und fragt: »Was hätten Sie getan, wenn Ihre Mutter vor den Augen Ihrer Familie erschossen worden wäre?«
Ich antworte, dass ich das nicht wisse, aber dass ich sicher nicht Mitglied einer Terrororganisation geworden wäre. Rami erwidert leise, er habe im Grunde nur drei Möglichkeiten gehabt: sich entweder der antikolonialistischen »Gruppe der Revolutionsbrigaden von 1920« anzuschließen,
zu den Baathisten zu gehen oder zu Al-Qaida. Sein Vater und seine Brüder hätten sich für die Baathisten entschieden, er für Al-Qaida.
Sein militärisches Training habe er von einem alten Armeeoffizier erhalten. In dessen Haus habe man ihm und zwei Freunden das Wichtigste über Zeitzünderbomben, Boden-Boden-Raketen und ferngesteuerte Explosivkörper beigebracht. Von all diesen Dingen habe er früher keine Ahnung gehabt.
Er kämpfe für einen islamischen Irak mit dem Koran als Grundlage der Verfassung. Er wolle, dass die Scharia beachtet werde. Falls die Baathisten oder andere Widerstandsgruppen allerdings die Wahlen gewännen und eine faire Regierung bildeten, würde er auch diese Regierung respektieren.
Als er mein noch immer ziemlich verärgertes Gesicht sieht, sagt er, er gehöre wie die meisten inländischen Al-Qaida-Kämpfer dem gemäßigten Flügel der Organisation an. Er habe noch nie einen Zivilisten getötet und werde das auch nie tun. Aber die USA müssten aufhören, sein Land zu quälen und zu misshandeln.
Auch Deutschland, das sich im Irakkrieg so geradlinig verhalten habe, spiele inzwischen eine traurige Rolle – vor allem in Afghanistan. Er fragt mich, ob ich mir eigentlich keine Gedanken darüber mache, dass die NATO mit deutscher
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