Warum tötest du, Zaid?
Unterstützung in Afghanistan mehr Zivilisten getötet habe als die Taliban.
Ich erwidere, selbst wenn diese bekannte Propagandabehauptung von Al-Qaida stimme – was ich nicht beurteilen könne –, sei das kein Grund, sich einer Terrororganisation wie Al-Qaida anzuschließen. Das Gespräch wird heftiger. Rami wiederholt, dass es sehr wohl gemäßigte Al-Qaida-Mitglieder gebe. Wie diese lehne er Gewalt gegen Zivilisten ab. Gewalt gegen Zivilisten, ja sogar gegen »anständige
irakische Polizisten«, sei selbst dann nicht akzeptabel, wenn gleichzeitig amerikanische Soldaten getötet würden.
Als ich ihn frage, warum um Himmels willen er sich dann Al-Qaida angeschlossen habe, das sei doch Beihilfe zum Terrorismus, weicht er aus. Er habe immer wieder seine Stimme gegen den radikalen ausländischen Flügel von Al-Qaida erhoben. Aber er habe sich genauso wenig durchsetzen können wie seine Freunde. Sein Standpunkt werde respektiert, aber nicht befolgt.
Er wisse, dass die Extremisten Geiseln nähmen, Zivilisten töteten und einen »Tunnelblick« auf die Welt hätten. Das alles könne er nicht akzeptieren. Trotzdem unterstütze er Al-Qaida, weil sie am engagiertesten gegen die Besatzer kämpfe.
Ich frage ihn, wie er zu Al-Zarkawi und Bin Laden stehe. Wieder erstaunt mich die Widersprüchlichkeit seiner Argumentation. Rami erklärt, er bewundere beide. Mit Al-Zarkawi hätte er gerne zusammengearbeitet, weil dieser den US-Truppen schwere Verluste zugefügt habe. Auch Bin Laden beeindrucke ihn, weil er den Mut gehabt habe, sich den USA offen entgegenzustellen.
Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem meines Erachtens eine Fortsetzung des Gesprächs keinen Sinn mehr macht. Mit Al-Zarkawi- und Bin-Laden-Anhängern zu diskutieren ist hoffnungslos. Ich stehe auf, um das Gespräch zu beenden. Auch Rami erhebt sich.
An seiner Argumentation ist nichts Rationales. Er weiß das auch. Er lehnt Gewalt gegen Zivilisten ab und bewundert Terroristen, die gnadenlos unschuldige Zivilisten ermorden. Rami sieht, dass ich ihn nichts mehr fragen will. Trotzdem versucht er noch einmal, seine Haltung zu begründen.
Er sei früher ein stiller und friedlicher Student gewesen. Aber dann habe er die täglichen Erniedrigungen seines
Volkes erlebt. Er habe im Fernsehen und im Internet die Bilder von Abu Ghraib gesehen. Nach dem Tod seiner Mutter habe er tagelang nichts mehr essen und nicht mehr schlafen können.
Obwohl er nie Anhänger der Baath-Partei gewesen sei, habe er geweint, als er im Fernsehen gesehen habe, wie Saddam Hussein gehängt wurde. Saddam Hussein sei kein guter Herrscher gewesen, aber unter ihm habe es Sicherheit und Frieden gegeben. Das Chaos im Irak zeige, dass das Land einen starken Mann brauche. Er fragt mich, ob Besatzung und Chaos, so wie es der Irak durch die Invasion der Amerikaner jetzt erlebe, besser seien als die Diktatur Saddam Husseins.
Ich sage ihm, dass beides nicht die richtigen Alternativen seien, aber Rami redet einfach weiter. Er sei früher nie ein besonders engagierter Muslim gewesen. Aber die amerikanische Invasion und ihre Gräuel, die tausendmal schlimmer seien als das, was man Al-Qaida vorwerfe, hätten aus ihm einen patriotischen Muslim gemacht. Viele Iraker seien erst durch die Besatzung zu Patrioten geworden und zur Religion zurückgekehrt.
Bush habe viel mehr Menschen auf dem Gewissen als alle Diktatoren und Terroristen dieser Welt zusammen. Trotzdem sei jeder westliche Politiker stolz, wenn er einen Termin bei Bush erhalte. Zornig stößt er hervor: »Eure Politiker zählen die Minuten, die sie mit dem amerikanischen Präsidenten verbringen dürfen. Keiner hält ihm vor, dass er für den Tod von hunderttausenden Irakern verantwortlich ist.«
Er wisse, dass er von den US-Truppen gesucht werde. Das alles sei ihm egal. Er habe keine Angst zu sterben. Warum solle es ihm besser gehen als seiner Mutter oder seinen Freunden oder den vielen Irakern, die in den letzten vier Jahren ihr Leben verloren hätten? Er könne das
Leid, das die Amerikaner seiner Familie und seinen Freunden zugefügt hätten, nie vergessen. Nie, nie, nie! Rami ist kreidebleich.
Eigentlich hätte ich das Gespräch hier endgültig beenden müssen, aber dieser traurige, verbitterte und hilflose Mann, der so ganz anders aussieht, als man sich einen Terroristen vorstellt, interessiert mich. Und so lasse ich Rami in seiner Erzählung fortfahren.
Wie die meisten seiner Kampfgenossen sei auch er im Gefängnis gewesen. Er sei
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