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Warum tötest du, Zaid?

Warum tötest du, Zaid?

Titel: Warum tötest du, Zaid? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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noch mit Zaid sprechen wolle, müsse ich das jetzt tun.
    In Ramadi habe sich herumgesprochen, dass sich in Al-Dschasira »ein Fremder« aufhalte. Er habe Hinweise von befreundeten Polizisten erhalten, dass etwas in der Luft liege. Er könne nicht ausschließen, dass sich noch immer einige versprengte Al-Qaida-Terroristen in Ramadi befänden. Und wenn die Amerikaner von meinem Besuch erführen, könnten auch er und seine Familie große Schwierigkeiten bekommen.
    Ein Westler, der ohne Genehmigung und Planung des Pentagon in Ramadi sei und mit Menschen spreche, die vorher nicht gebrieft worden seien, müsse den Amerikanern verdächtig vorkommen. Das sei völlig ungewöhnlich und passe nicht in ihre PR-Strategie. Wir müssten daher vorübergehend unseren Aufenthaltsort wechseln.
    Wortlos stehe ich auf und torkle wie ein angeschlagener Boxer zur Dusche. Dort steht für mich ein großer Becher
Kaffee bereit. Um 5.30 Uhr, es ist noch nicht ganz hell, sitze ich mit Zaid unter einer Dattelpalme und lasse ihn erzählen. Zaid hat dunkle Ringe unter den Augen. Vielleicht hat er heute Nacht, statt zu schlafen, an all das gedacht, was seiner Familie und ihm in den letzten Monaten zugestoßen ist.
    Zaid spricht heute sehr langsam, fast bedächtig. Er versucht erkennbar, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Immer wieder atmet er tief durch, macht Pausen, presst die Lippen zusammen.
    Zaid ist der älteste von drei Brüdern. Haroun ist ein Jahr jünger als er, Karim zwei Jahre. Im Juli 2006 verbringt Haroun einige Nächte bei seinem Onkel im Zentrum von Ramadi. Haroun, der damals neunzehn Jahre alt ist, studiert Ingenieurwissenschaften. Er hat Semesterferien und genießt diese, so gut das in diesen Kriegszeiten eben geht.
    Mit dem Widerstand hat er wie seine beiden Brüder wenig zu tun. Er hilft, wie alle Jugendlichen von Ramadi, den Widerstandskämpfern, wenn sie einen Unterschlupf suchen oder eine Information brauchen. Von sich aus aktiv wird er nicht.
    Am 14. Juli 2006 macht sich Haroun frühmorgens im Haus seines Onkels auf, um zu seiner Familie nach Al-Sufia zurückzukehren, bevor es zu heiß wird. Es ist kurz nach sieben Uhr, als er in die kleine Straße einbiegt, in der seine Familie wohnt. Er kickt einen kleinen alten Ball vor sich her, den er irgendwo gefunden hat.
    In der rechten Hand trägt er eine weiße Buschrose, die er im Morgengrauen für seine Mutter gepflückt hat. Einem Nachbarjungen, Jarir, der ihm auf der gegenüberliegenden Straßenseite entgegenkommt, ruft er ein freundliches Salam – Friede – zu.
    Genau in diesem Augenblick – Haroun hat gerade das Wort Salam ausgesprochen – peitscht ein Schuss durch
die Straße. Haroun fasst sich ungläubig an den Hinterkopf, geht wie in Zeitlupe in die Knie und fällt vornüber mit dem Gesicht in den Staub.
    Leblos bleibt er im Dreck der Straße liegen. In seiner rechten Hand hält er die kleine weiße Rose, die er seiner Mutter schenken wollte.
    Jarir hat sich blitzschnell in den Eingang eines verfallenen Hauses gerettet. Dort bleibt er stundenlang regungslos sitzen. Er sieht, wie eine Stunde später ein städtischer Feuerwehrwagen Harouns Leiche auflädt und wegfährt. Feuerwehrautos sind die einzigen Fahrzeuge, die in der Innenstadt fahren dürfen. Selbst auf Krankenwagen wird im Stadtzentrum sofort geschossen. Feuerwehrfahrzeuge sind inzwischen alles in einem: Löschwagen, Krankenwagen, Leichenwagen.
    Auch andere Bewohner der Straße haben den Schuss gehört. Aber niemand wagt sich aus dem Haus, aus Angst, selbst Opfer der amerikanischen Scharfschützen zu werden.
    Erst am Nachmittag traut sich Jarir aus seinem Versteck und rennt zu Zaids Haus. Nachdem er dort, völlig außer Atem, von Harouns Tod berichtet hat, ist das Haus von Schreien der Verzweiflung, der Trauer und der Wut erfüllt. Weinend und klagend liegt sich die Familie in den Armen. Haroun soll tot sein, das kann nicht sein. Sie haben ihn doch gestern noch bei seinem Onkel getroffen.
    Dann zieht die ganze Familie los, um Haroun in der Leichenhalle des Viertels ein letztes Mal zu sehen, die Beerdigung vorzubereiten und ihm ein letztes Adieu zu sagen. Aber als sie ankommen, ist Haroun längst bestattet. Ohne städtischen Strom stehen der Leichenhalle keine Kühlräume zur Verfügung. Deshalb werden die vielen Toten, die täglich angeliefert werden, so schnell wie möglich beerdigt.

    Es gibt keinen Abschied. Nicht einmal an den für die Bestattung vorgesehenen Gebeten kann die Familie teilnehmen –

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