Warum tötest du, Zaid?
Verletzung gekommen ist.
Anfang 2006 sei er zusammen mit seinem Freund Yaser in dessen Mitsubishi über eine Landstraße von Ramadi Richtung Bagdad gefahren. In Bagdad hätten sie einen Arzt besuchen wollen. Bei einer Ortsdurchfahrt habe es an einer Kreuzung plötzlich einen Stau gegeben. Yaser habe mitten auf der Kreuzung halten müssen.
In diesem Augenblick sei aus der Querstraße ein gepanzerter Humvee gekommen und habe den Mitsubishi von der Straße gerammt. Ihr Auto habe sich überschlagen und sei völlig zerstört worden. Yaser sei sofort tot gewesen. Er, Samir, sei zwischen Armaturenbrett und Beifahrersitz eingeklemmt worden.
Der gepanzerte Humvee sei unbeschädigt geblieben. Sein Fahrer habe nur kurz den Rückwärtsgang eingelegt und sei weitergefahren, ohne sich um den zerstörten Mitsubishi zu kümmern. Wer der Fahrer des Humvee war, habe er nie erfahren.
Mit einem Schweißgerät habe man ihn, Samir, aus dem Mitsubishi befreit. Im Krankenhaus habe man ihm mitgeteilt, dass der fünfte Brustwirbel gebrochen sei. Er werde für den Rest seines Lebens querschnittsgelähmt sein. Jeden Tag müsse er an seinen toten Freund denken. Aber sein eigener Körper sei ja eigentlich auch tot.
Ich frage ihn, ob er früher im Widerstand tätig gewesen
sei. Er lacht, fast alle Iraker seien im Widerstand. Aktiver Kämpfer sei er jedoch nicht gewesen. Aber einige seiner Vettern hätten sich von Anfang an dem Widerstand angeschlossen. Neun von ihnen seien deshalb 2004 ins Gefängnis Abu Ghraib gesteckt worden. Vier von ihnen seien bei einem Befreiungsversuch im September 2004 getötet worden. Die Amerikaner hätten sie bei den Kämpfen einfach als Schutzschilde vor sich hergeschoben.
Auch ihn habe man im Jahr 2004 anderthalb Monate in Abu Ghraib festgehalten. »Wir wurden behandelt wie Tiere. Man hat uns geschlagen, getreten und angespuckt. Wir wurden Tag und Nacht laut beschallt. Man wollte uns zwingen, entgegen den Regeln des Korans Schweinefleisch zu essen. Aber wir haben nichts davon angerührt. Tagelang haben wir deshalb nichts zu essen bekommen.«
Insgesamt seien bisher rund sechzig seiner Verwandten getötet worden, Geschwister, Onkel, Vettern. Aber wen interessiere das schon im Westen? Dort zähle man ja nur die toten Amerikaner sehr sorgfältig, die toten Iraker zähle schon lange niemand mehr richtig.
Dass viele irakische Zivilisten durch Al-Qaida und radikal-schiitische Politikermilizen ermordet worden seien, ändere nichts an der Schuld der USA. »Diese Seuche haben die Amerikaner in unser Land geschleppt. Sie tragen dafür die Verantwortung. Vor dem amerikanischen Einmarsch hat es in unserem Land weder Terroristen noch konfessionelle Kämpfe gegeben.« In dem großen Wohnraum, in dem sich inzwischen zwölf Personen eingefunden haben, herrscht eine bittere Stimmung.
Abu Bassim versucht, seiner Rolle als Gastgeber gerecht zu werden, und begrüßt mich nun offiziell im Namen seiner Familie und seiner Freunde. Ich sei der erste Westler, der nicht mit einem amerikanischen Hubschrauber, einem Humvee oder einem Schützenpanzer nach Ramadi
gekommen sei, ohne Presseoffiziere und militärische Bodyguards, und der seine Nächte nicht in zubetonierten amerikanischen Militärcamps verbringe. Dafür möchte er sich herzlich bedanken.
Ich hätte so wenigstens eine gewisse Chance, die Wahrheit zu erfahren. Er wundere sich, dass sich viele westliche Journalisten die Lage der Menschen im Irak fast ausschließlich von amerikanischen Offizieren erklären ließen. Es sei doch klar, dass das Pentagon kein Interesse daran habe, das wirkliche Ausmaß der irakischen Tragödie zu zeigen. Das sei so, wie wenn man 1943 als Journalist mit deutschen Truppen ins besetzte Polen gereist wäre und dann im Vertrauen auf die Redlichkeit der deutschen Presseoffiziere Artikel über die Situation der polnischen Bevölkerung geschrieben hätte.
Ich erkläre Abu Bassim, dass die Reise als »embedded journalist« für die meisten Korrespondenten inzwischen die einzige Möglichkeit sei, sich ein Bild über die Lage im Irak zu verschaffen. Das sei in besetzten Ländern nun einmal so. Er erwidert ruhig, mein Beispiel zeige doch, dass es auch anders gehe. Ich entgegne ihm, dass auch ich das nicht mehrmals pro Jahr machen könne und dass ich wahrscheinlich auch nicht alles zu sehen bekäme. Auch ich müsse ständig Kompromisse schließen.
Abu Bassim sagt: »Das stimmt, aber Sie kommen zu den Opfern dieses Krieges, die anderen gehen fast alle zu den
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