Warum tötest du, Zaid?
Benzins den Motor überhitzen könnte. Musa will möglichst schnell raus aus seinem eigenen Land.
Noch 450 Kilometer Autobahn liegen vor uns. In unserem Chevrolet herrscht immer noch eine kaum erträgliche Spannung. Nass geschwitzt starre ich nach draußen in die irakische Wüste mit ihren ausgebrannten Fahrzeugwracks. Wie viele Iraker, wie viele Amerikaner mögen auf dieser Straße gestorben sein?
Musa legt wieder seine feurigen Koranpredigten ein, Abu Saeed schläft, und ich trinke meine erste Wasserflasche leer, während ich mir Notizen mache.
Nach fünfeinhalb Stunden, um zwölf Uhr, nähern wir uns den irakischen Grenzbefestigungen. Zwischen ausgebrannten Autowracks verabschiedet uns auf Arabisch ein Schild mit den Worten: »Schukran liziaratikum – Vielen Dank für Ihren Besuch!« »Bitte schön«, denke ich. Aber wiederkommen werde ich so schnell nicht, zumindest nicht unter den zurzeit herrschenden Bedingungen.
Nach den üblichen Kontrollen geht es wieder durch die eingemauerten fünf Kilometer Niemandsland, vorbei an den palästinensischen Flüchtlingszelten. Hier ballt sich alles Elend dieser Welt zusammen. Was werden die Kinder in diesen dreckigen Zelten, wenn sie groß sind, einmal von denen denken, die sie hierher vertrieben haben, von denen, die sie nicht aufnehmen wollten, und von denen, die diesen ganzen Schlamassel verursacht haben?
Einige Minuten später taucht ein Schild auf: »Ahlan Wasahalan Bikom Fi Soria – Willkommen in Syrien!«
Eine tonnenschwere Last fällt von mir ab. Ich bin wieder draußen, ich habe es hinter mir! Keine gepanzerten Humvees mehr, keine amerikanischen Schützenpanzer, keine Aufklärungshubschrauber, keine F-16-Flugzeuge, keine vermummten irakischen Polizisten mehr! Keine Angst mehr vor durchgeknallten christlichen GIs und durchgeknallten muslimischen Selbstmordattentätern! Kein »Waffenstillstand« mehr, bei dem rund um eine Zone von vier Kilometern Durchmesser Autos in die Luft fliegen und Hubschrauber abgeschossen werden. Welch ein Gefühl der Erleichterung!
Ich spüre – obwohl ich es mir vor und während meiner Reise nie eingestanden habe –, dass ich im Irak Angst hatte, richtig Angst. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben. Fünf Tage war ich in diesem gequälten Land – fünf Tage können sehr lang sein. Dass ich dieses Gefühl grenzenloser Erleichterung ausgerechnet beim Betreten syrischen Bodens haben würde, hätte ich mir nie träumen lassen.
Die syrischen Grenzkontrollen sind bei der Einreise aus dem Irak noch beschwerlicher als bei der Ausreise. Wir müssen zum Chef der Grenzbehörde, einem etwa vierzigjährigen eleganten Offizier. Er glaubt, Abu Saeed mache einen Scherz, als dieser erzählt, ich sei in Ramadi gewesen, um mir als Arzt ein Bild von der Lage der Menschen vor Ort zu verschaffen. »Da fährt kein Deutscher hin«, sagt er lächelnd. »Da fährt überhaupt kein Ausländer hin, jedenfalls nicht ohne gepanzerten Begleitschutz.«
Abu Saeed erzählt etwas von Feuerpause. Aber der Offizier bricht in schallendes Gelächter aus: »Eine Feuerpause? «, fragt er. »In der Provinz Anbar? Mit wie vielen Toten pro Nacht – nur zehn statt zwanzig? Und die Straße von Ramadi nach hier – wissen Sie, wie viele Tote es hier
jede Woche gibt? Im Juli hat es die meisten Straßenbombenattentate seit Kriegsbeginn gegeben!«
Abu Saeed argumentiert mit Händen und Füßen. Ich glaube, er befürchtet, die Grenzsoldaten könnten mich wieder in den Irak zurückschicken. Der Offizier, der aussieht wie eine schwarzhaarige Jugendausgabe von Peter Alexander, glaubt ihm noch immer kein Wort. Aber wirklich gefährlich oder verdächtig sehe ich wohl nicht aus. So gibt er uns irgendwann die Pässe zurück und sagt, wir könnten gehen. Dann greift er zum Telefonhörer.
Erleichtert gehen wir zu unserem Auto. Dort erwartet uns jedoch bereits ein weiterer Grenzbeamter, den der Chef der Grenzbehörde offenbar angerufen hat. Wir müssten leider noch dem Chef der Zollbehörde einen Besuch abstatten. Abu Saeed scheint zu ahnen, was uns bevorsteht.
Der Beamte lässt sich auch durch das übliche Bakschisch nicht davon abbringen, uns zur »Zollbehörde« zu bringen. Auf Abu Saeeds Stirn bilden sich Sorgenfalten. »Der bringt uns zum Chef des Geheimdienstes. Ziehen Sie Ihre Arztgeschichte durch, sonst bekommen wir noch mehr Ärger.«
Der Geheimdienstchef – Abu Saeed hatte recht – empfängt uns in seinem kleinen Büro im ärmellosen Unterhemd. Er ist etwa
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