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Warum tötest du, Zaid?

Warum tötest du, Zaid?

Titel: Warum tötest du, Zaid? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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US-Soldaten riefen offenbar Hubschrauber zu Hilfe, die kurz darauf das Viertel bombardierten. Hanan hörte die Explosion der Bomben, sah Rauch aufsteigen und hastete mit ihren großen Einkaufstüten, so schnell sie konnte, nach Hause. Die Tüten waren schwer, bei großen Familien gibt es viel einzukaufen.
    Als sie atemlos in der kleinen Straße angekommen war, in der ihr Bruder Salim mit seiner Familie wohnte, sah sie, dass Bomben sein Haus in Schutt und Asche gelegt hatten. Sie ließ ihre Tüten fallen und rannte schreiend zu dem Haus. Nachbarn standen gestikulierend und schimpfend vor den Trümmern des eingestürzten Gebäudes.
    Verzweifelt schrie sie: ›Wo ist Salim, wo ist Zainab, wo sind meine Kinder?‹ Sie kreischte die Nachbarn an, aber die deuteten nur auf die rauchenden Trümmer oder wendeten sich mit Tränen in den Augen ab.
    Meine kleine Tante warf sich auf die Trümmer, versuchte einzelne Steine hochzuheben, ein Loch zu graben, aber sie riss sich nur die Finger blutig. Schluchzend und immer wieder laut schreiend legte sie sich auf die Trümmer, die ihre geliebten Kinder, ihre Enkel, ihre Familie begraben hatten. Sie warf sich Asche auf ihr Haupt, sie wollte genauso sterben wie ihre Familie.
    Nach einer Stunde erhob sie sich mühsam und holte ihre Einkaufstüten. Dann setzte sie sich wie ein Häufchen Elend gegenüber dem zerstörten Haus an eine kleine Mauer. Ihren schwarzen Schleier zog sie tief ins Gesicht. So blieb sie leise weinend und wimmernd bis zum Abend sitzen.

    Die Nachbarn hatten es aufgegeben, sie in ihr Haus zu bitten und zum Essen einzuladen. Hanan wollte bei ihren Kindern, ihren Enkeln, ihrer Familie bleiben. Die Flasche Wasser, die jemand neben sie gestellt hatte, rührte sie nicht an.
    Als es dämmerte, kam der Imam des Viertels und fragte sie, wo sie die Nacht verbringen wolle. ›Bei Jamil‹, sagte sie so leise, dass man es kaum hören konnte. Der Imam wollte antworten, brachte aber keinen Ton heraus. Hilflos drehte er sich um und wischte sich die Tränen aus den Augen.
    Dann atmete er tief durch, presste die Fäuste zusammen und ging zu Hanan zurück. Er versuchte, ganz ruhig zu bleiben, und sagte: ›Du kannst nicht zu Jamil. Auch sein Haus ist zerstört. Alle sind tot!‹
    Die kleine alte Hanan, die zusammengekauert vor ihm saß, zog langsam und ungläubig ihr Kopftuch aus der Stirn. Sie wollte im Gesicht des Imam lesen, was dieser gesagt hatte, was sie bestimmt falsch verstanden hatte. Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. ›Nein, das kann nicht wahr sein, das ist bestimmt nicht wahr‹, dachte sie.
    ›Sag mir, dass das nicht wahr ist‹, flehte Hanan mit heiserer Stimme den Imam an. ›Jamil lebt, und ich gehe jetzt zu ihm, so wie immer. Und niemand wird mich daran hindern.‹ ›Du kannst nicht zu ihm gehen‹, antwortete der Iman leise. ›Er ist nicht mehr da, sie sind alle tot.‹
    Hanan stieß einen tiefen, lauten Schrei aus, warf sich auf den Gehweg, kratzte die Erde auf und schlug mit den Händen auf den staubigen Weg. Dann legte sie ihr Gesicht auf die Erde und weinte und weinte. Regungslos blieb sie so liegen.
    Nach etwa einer Stunde trug der Imam sie zusammen mit einigen Freunden zu sich nach Hause. Seine Frau wischte vorsichtig den Staub von ihrer Abaja und versuchte, ihr Gesicht und ihre Hände zu reinigen. Dann
stellte sie Hanan etwas zu essen hin. Aber Hanan rührte nichts an. Sie wimmerte nur still vor sich hin.
    Spätabends kamen Verwandte und boten ihr an, zu ihnen zu kommen. Auch wir, meine Familie und ich, luden sie ein. Aber Hanan, die jetzt ganz in sich zusammengefallen war, gab keine Antwort. Sie blieb bei der Familie des Imam. Sie aß nichts, sie trank nichts, sie weinte nur.
    Drei Tage später starb sie. Sie hörte einfach auf zu atmen. Sie konnte nicht mehr, und sie wollte nicht mehr.«
    Musa umklammert fest sein Lenkrad und schaut starr nach vorne. Er hat keine Tränen in den Augen. »Ähnliche Geschichten haben tausende Familien im Irak erlebt. Auch die Menschen, die Sie in Ramadi gesehen haben. Sie haben Ihnen nur Bruchteile Ihres Leids erzählt.
    Sagen Sie Ihren amerikanischen Freunden, sie haben nicht nur unser Land zerstört, sie haben auch unsere Herzen zerbrochen.« Musa macht eine kleine Pause. Dann fügt er leise hinzu: »Hanan war Zaids Lieblingstante.«
    In der Ferne taucht die Silhouette von Damaskus auf. Musa gibt noch einmal kräftig Gas. Heute Nacht werden Musa und Abu Saeed in Damaskus übernachten. Morgen früh geht es zurück nach

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