Warum tötest du, Zaid?
mich mit einem Schwall unzusammenhängender deutscher Wörter überschüttete – ich verstand nur »Danke« und »Gruß Familie« –, brachte ich vor Freude kaum einen Ton heraus.
Tanaya , die ich 2003 kurz vor Kriegsbeginn besucht hatte, geht es nicht ganz so gut. Sie ist inzwischen zwanzig Jahre alt und lebt bei ihrer Tante im Bagdader Stadtteil Al-Karkh. Auch Tanaya besucht die Schule nicht mehr, weil der Schulweg zu gefährlich ist. Ich habe ihr ebenfalls etwas Geld zur Verfügung gestellt, damit auch sie sich ein kleines Geschäft aufbauen kann.
Anfang 2007 hatten wir das verfallene Haus ihrer Tante im Stadtteil Al-Fadhel renovieren lassen. Da diese Gegend jedoch besonders heiß umkämpft ist, mussten Tanaya und ihre Tante das frisch renovierte Haus wieder verlassen und nach Al-Karkh umziehen. Das renovierte Haus steht jetzt leer. Tanayas Zukunftsaussichten sind düster. Sie ist arm und hat keine Ausbildung. Ihr Traum, einmal Ärztin zu werden, ist zu Ende.
Dr. Aqila al-Hashimi 7 , die schiitische Abteilungsleiterin im irakischen Außenministerium, hatte ich bei meinem Irakbesuch 2002 auf dringenden Rat von Hans Graf von Sponeck, dem ehemaligen Chef des »Öl-für-Lebensmittel«-Programms der Vereinten Nationen, besucht. Ich hätte sonst im autoritären Irak Saddam Husseins keine Schule, kein Krankenhaus und auch kein Kinderheim besichtigen können.
Ich wollte über Frau Al-Hashimi außerdem die Erlaubnis erhalten, ein irakisches Gefängnis zu besichtigen und mit Studenten zu diskutieren. Sie hatte erwidert, ich solle bitte auch die irakischen Friedhöfe und die vielen Kindergräber
besuchen, die der Westen aufgrund der von ihm durchgesetzten UN-Sanktionen zu verantworten habe. Aqila al-Hashimi war eine streitbare, aber immer hilfsbereite Frau.
Nach der amerikanischen Invasion im Frühjahr 2003 machte sie überraschend Karriere: Obwohl sie der Baath-Partei angehörte, wurde sie Mitglied des von den USA ernannten »Provisorischen Regierungsrats«. Sie musste diesen Karrieresprung teuer bezahlen. Wenige Wochen nach ihrer Ernennung wurde sie auf offener Straße von sechs bewaffneten Männern niedergeschossen. Ihre Mörder konnten unerkannt entkommen.
Einem früheren irakischen Botschafter, den ich in Syrien traf, hatte sie zwei Tage vor ihrem Tod angekündigt, dass sie in der kommenden Woche von ihrem Regierungsamt zurücktreten wolle. Ihre Familie akzeptiere nicht, dass sie mit den Amerikanern zusammenarbeite. Ihr Entschluss kam zu spät.
Mit Margaret Hassan 8 , der irischen Leiterin der Hilfsorganisation Care International im Irak, hatten mein damals neunzehnjähriger Sohn Frédéric und ich 2002 den vorletzten Tag unseres Irakbesuchs verbracht. Wir waren in ihrem VW-Kombi von Bagdad nach Khanakin in der Provinz Diyala gefahren.
Margaret, eine resolute kleine Frau mit trockenem englischem Humor, saß selbst am Steuer. Frédéric schlief im Fond des Autos den Schlaf des Gerechten. Er hatte am Vorabend lange mit seinen neuen irakischen Freunden diskutiert und war hundemüde. So konnte Margaret mir ungestört wertvolle Tipps für die Erziehung lernunwilliger Jugendlicher geben. Frédéric hatte gerade nach viel gutem Zureden sein Abitur geschafft.
Margaret war mit einem Iraker verheiratet und besaß die irische, britische und irakische Staatsbürgerschaft. Sie
lebte seit dreißig Jahren im Irak, war eine leidenschaftliche Gegnerin der UN-Sanktionen und kritisierte voll Bitterkeit die aus ihrer Sicht menschenunwürdige Irakpolitik der britischen Regierung. Einen denkbaren Krieg gegen den Irak hielt sie für ein Verbrechen.
In Khanakin baute Care International unter Margaret Hassans Leitung eine Trinkwasseranlage. Wochenlang musste Margaret um die Freigabe einiger lächerlicher Plastikrohre kämpfen, die man für Trinkwasseranlagen nun einmal braucht. Das UN-Sanktionskomitee behauptete, man könne die Plastikrohre auch zum Bau von Massenvernichtungswaffen verwenden.
Auch nach Kriegsausbruch blieb Margaret im Irak. »Ich bleibe bei meinen Leuten. Sie sind meine Heimat«, sagte sie. Am 19. Oktober 2004 wurde sie in Bagdad auf dem Weg zur Arbeit von unbekannten Kidnappern entführt. Obwohl selbst Al-Qaida mehrfach öffentlich für ihre Freilassung eintrat – ein ungewöhnlicher Vorgang –, wurde Margaret Hassan am 16. November 2004 von ihren bis heute unbekannten Entführern erschossen.
Margaret Hassan hat für die Menschen im Irak alles gegeben – auch ihr Leben. Ich glaube, jeder, der diese wunderbare
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