Warum tötest du, Zaid?
amerikanischen Präsidenten in Tampa habe der Abriss nichts zu tun. Die Gedenkstätte dürfe daher auch in Zukunft nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz aufgebaut werden.
Norma und Oscar verstehen bis heute nicht, warum Andys Memorial drei Jahre lang keine Gefahr für den Straßenverkehr darstellte und erst kurz vor dem Besuch des amerikanischen Präsidenten zu einer solchen wurde. Sie begreifen nicht, dass man die Gedenkstätte eines Soldaten, der im Alter von achtzehn Jahren für sein Land gefallen war, einfach abreißen und auf den Müll werfen konnte.
Erst im Oktober 2006, dreieinhalb Jahre nach Andys Tod, brachten Norma und Oscar die Kraft auf, die Kiste mit Andys letzten Habseligkeiten zu öffnen, die ihnen die
Marines schon lange vorher geschickt hatten. Sie fanden folgenden Abschiedsbrief:
»Liebe Familie, wenn ihr diesen Brief lest, ist leider das Schlimmste eingetreten. Ich möchte, dass ihr wisst, dass ich mein Bestes gegeben habe. Ich weiß, ich bin noch viel zu jung. Aber manche müssen diese Welt eben früher verlassen, weil ihre Zeit abgelaufen ist. Ich lebe jetzt in einer besseren Welt. Aber ich werde immer bei euch sein. Eines Tages werden wir wieder zusammen sein. Ich liebe euch, euer Andy.«
Andys Zugführer, der damals 27 Jahre alte Leutnant Alex Wetherbee 5 aus Chicago, der meist in dessen Schützenpanzer mitgefahren war, wurde am 12. September 2004 bei Kämpfen in der irakischen Provinz Anbar schwer verwundet. Er erlag wenige Tage später seinen Verletzungen.
Im Winter 2004 hatte ich wochenlang versucht, Wetherbee telefonisch zu erreichen. Ich wollte mit ihm über Andy sprechen. Aber sein Telefon läutete immer durch. Erst viel später erfuhr ich, warum sich unter seiner Nummer niemand mehr meldete. Alex Wetherbees schlichter Grabstein auf dem Ehrenfriedhof von Arlington steht nur wenige Meter von dem Andys entfernt.
Der inzwischen sechzehn Jahre alten Marwa , die am Tag von Andys Tod bei einem amerikanischen Bombenangriff ihr rechtes Bein verloren hatte – ihre Schwester Azra war dabei getötet worden –, habe ich ein kleines Haus in Sadr City, einem Stadtteil im Osten Bagdads, gekauft. Ich wollte sie und ihre Familie aus der Umgebung von Sabah Qusur, einem noch ärmeren Viertel Bagdads, herausholen.
Wie viele irakische Kinder geht auch Marwa nicht mehr zur Schule. Die anderen Kinder nennen sie Humpelstilzchen, weil ihre Prothese inzwischen zu klein geworden ist. Möglicherweise werden wir sie noch einmal nach Deutschland holen müssen, um ihr eine neue Prothese
anzupassen. Vielleicht wird sie danach wieder zur Schule gehen können.
Auf Vorschlag der International Organisation for Migration (IOM) habe ich Marwa etwas Geld zur Verfügung gestellt, damit sie einen kleinen Lebensmittelladen eröffnen kann. Da Sadr-City von der Mahdi-Army Muktada al-Sadrs, kontrolliert wird, musste die Einrichtung des Ladens heimlich in einem Krankenwagen zu Marwas Haus geschmuggelt werden. Ihre Familie wurde weiter vom Unglück verfolgt. Marwas ältester Bruder Ahmed ertrank im Euphrat. Marwas Mutter Faleeha, die früher immer so fröhlich lachen konnte, lacht nur noch selten.
Abdul 6 , den ich 2003 in meinem Buch Wer weint schon um Abdul und Tanaya? beschrieben hatte, geht es gut. Dem 1984 im pakistanischen Peshawar mit schwersten Verbrennungen im Sterben liegenden zwanzigjährigen jungen Mann hatten Tübinger Ärzte in zahllosen Operationen das Leben gerettet. Abdul lebt heute in Mehtar Alam, südöstlich von Kabul. Er ist stolzer Vater von sechs Kindern, drei Söhnen und drei Töchtern.
Der »Verein für Afghanistan-Förderung« überwies ihm in den letzten Jahren regelmäßig einen kleinen Geldbetrag aus den Zinsen eines Sonderkontos, das wir ohne Abduls Wissen für ihn eingerichtet hatten und das von Professor Bernd Domres, einem Tübinger Unfallchirurgen, verwaltet wurde. Domres hatte Abdul 1984 mit einem Jet der Deutschen Rettungsflugwacht in einem abenteuerlichen Flug von Peshawar nach Deutschland gebracht.
Abdul verdient heute seinen Lebensunterhalt mit einem kleinen Laden, in dem man alles Mögliche kaufen kann. Wegen seines Kinderreichtums platzt sein kleines Haus aus allen Nähten. 2007 haben wir ihm daher den größten Teil des Sonderkontos übergeben, damit er endlich sein Haus und seinen Miniladen vergrößern kann.
Kurz danach rief Abdul überglücklich an, um sich mit den wenigen Brocken Deutsch, die er in den Tübinger Krankenhäusern gelernt hatte, zu bedanken. Während er
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