Warum tötest du, Zaid?
Syrien unterstütze den irakischen Widerstand, zeigen Wirkung.
Wir müssen die syrischen Staatsdiener, die vor dem Gebäude in dunkle Decken gewickelt auf Holzliegen schlafen, erst aus ihren Träumen reißen, ehe sie uns murrend und knurrend die Genehmigung ausstellen. Als sie in meinem Pass sehen, dass ich Deutscher bin, schütteln sie ungläubig den Kopf. Etwas Unverständliches murmelnd, geben sie mir den Pass zurück und legen sich wieder schlafen. Von der Moschee erschallen die ersten Rufe des Muezzins zum Morgengebet.
Gegen sieben Uhr erreichen wir Al-Schahmma, einen armseligen Ort, siebzig Kilometer von der Grenze entfernt. Hier will ich mich mit Abu Saeed, einem Händler aus Ramadi, treffen, der mich über die Grenze bringen soll. Den Kontakt zu ihm hatten mir meine irakischen Gesprächspartner an Pfingsten in Jordanien vermittelt.
Abu Saeed erwartet mich am Ortseingang in einem dunkelblauen Chevrolet-Geländewagen mit schwarz getönten Scheiben. Bei ihm sind seine Frau Aisha, seine dreizehnjährige Tochter Shala, sein vierjähriger Sohn Ali und sein Fahrer Musa. Sie haben am Vorabend, aus dem Irak kommend, die Grenze kurz vor deren Schließung um 22 Uhr überquert und gemeinsam im Auto übernachtet.
Abu Saeed, der fließend Englisch spricht, und ich verstehen uns vom ersten Augenblick an. Abu Saeed ist vierzig Jahre alt und sieht mit seiner irakischen Kopfbedeckung aus wie Peter O’Toole in »Lawrence von Arabien«. Seine ebenfalls vierzigjährige Frau Aisha hat sanfte, fast europäische Gesichtszüge. Sie ist eine schöne Frau. Irgendwie hat sie es heute Morgen geschafft, sich im Geländewagen dezent zu schminken. Ich sage ihr, sie sehe aus wie die große amerikanische Schauspielerin Rita Hayworth. Sie bedankt sich lächelnd, obwohl sie sicher nicht weiß, wer das ist.
Abu Saeed, der Geschichte studiert hat und eigentlich Diplomat werden wollte, besitzt in Al-Dschasira, einem dörflichen Stadtteil von Ramadi, eine kleine Handelsfirma, die im Dreiländereck Irak-Syrien-Jordanien Baumaterialien und Getränke vertreibt. Seine Geschäfte laufen nicht gut, erzählt er mir, aber seine Familie komme mit dem Geld, das er verdiene, einigermaßen zurecht. »Wir leben«, sagt er, »das ist das Wichtigste – Alhamdulillah – Gott sei Dank!«
Abu Saeed hat noch vier weitere Kinder, aber die hat er in Ramadi zurückgelassen. Seine Frau, Shala und Ali hat er nur zu meinem Schutz mitgenommen. Sie sollen unserer kleinen Reisegruppe etwas Familiäres geben und bei Kontrollen von mir ablenken. Ich habe zwar eine bis zu den Knöcheln reichende weiße irakische Dishdasha an und trage einen schmalen Oberlippenbart, aber trotzdem sehe ich noch immer ziemlich europäisch aus. Wir fahren los, es ist 7.15 Uhr.
Unser dreißigjähriger Fahrer Musa, ein stiller Iraker mit Bürstenhaarschnitt, fährt fast immer Vollgas. Abu Saeed sitzt neben ihm, den kleinen Ali auf dem Schoß. Seine Frau Aisha und seine Tochter Shala haben es sich im Fond des Wagens bequem gemacht. Um nicht einzuschlafen, schiebt Musa ständig neue Kassetten mit Koranrezitationen
und feurigen Predigten in das Kassettenradio. Das hält nicht nur ihn, sondern auch mich hellwach. Da ich kein Wort Arabisch verstehe, ist meine Begeisterung jedoch begrenzt. Abu Saeed ist samt Familie sofort eingeschlafen. Sie hatten schließlich eine beschwerliche Nacht.
Nach einer Dreiviertelstunde Fahrt durch die syrische Wüste nähern wir uns Al-Tanf. Der Grenzposten ist in Wirklichkeit eine fünf Kilometer lange Festungsanlage, die an den früheren Zonenübergang Helmstedt zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland erinnert, an die Berliner Mauer, an Hochsicherheitstrakte von Gefängnissen – gespenstisch, beängstigend und bedrückend. Nirgendwo im früheren Irak Saddam Husseins habe ich derart geisterhaft anmutende Mauern und Absperrungen gesehen.
Zwei Stunden lang fahren und laufen wir von Kontrollposten zu Kontrollposten. Musa verteilt ständig Schmiergeld – mal heimlich unter der Motorhaube, mal offen aus dem Fenster. Meist fünfzig syrische Lira, das entspricht ungefähr einem Dollar.
Manche der syrischen Grenzbeamten geben sogar Wechselgeld zurück, falls man die passenden Scheine nicht bereit hat. Einer der Grenzbeamten zählt ganz offen und zufrieden sein dickes Bündel an Bestechungsgeldern, bevor er uns auf einen großen Lira-Schein herausgibt. Al-Tanf ist bekannt für seine geldgierigen Grenzbeamten.
Trotz reichlich Bakschisch wird hart
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