Was allein das Herz erkennt (German Edition)
hielt sie auf der anderen Seite. Die Kinder und einige Eltern umringten sie, nur damit sie damit angeben konnten, dass sie mit Martin Cartier Schlittschuh gelaufen waren, aber Kylie wusste:
Er gehörte zu ihnen – zu ihr und ihrer Mutter und Natalie. Sie waren eine Familie, und Martin war ihr Vater, und jeder hatte wieder den Platz, an den er gehörte.
18
E ine Stunde vor dem ersten Spiel in den Stanley Cup Finals – im Grunde ein Rückspiel gegen Edmonton – saß Martin Cartier in der Umkleidekabine und ließ sich die Knöchel bandagieren. Er wusste, dass sich May und Kylie bereits auf den Tribünenplätzen befanden. Die Musik spielte, die Mannschaft war bereit und Martin konnte Jorgensens Gegenwart spüren, hier, im Stadion.
Er fühlte sich wie elektrisiert, hatte das Gefühl, dass sein großer Augenblick nahte. May und er hatten sich versöhnt. Er würde Jorgensen wie Ungeziefer zertreten, das Spiel, die Serie und den Stanley Cup gewinnen und gerade, als er dachte, dass er das alles nur für sie tat, wurde ihm mit einem Mal schwarz vor Augen.
In der einen Minute hatte er noch das gleißende Licht gesehen, seine Teamkameraden, die nervös hin und her gingen, und Coach Defoe, der einen Fuß auf die Bank gestellt hatte, in der nächsten versank alles in Dunkelheit. Martin hörte Stimmen, aber er sah nichts mehr.
»Okay, Martin, wir werden dir den Puck bei jeder Gelegenheit zuspielen«, sagte in diesem Moment der Coach. »Das ist alles, was du wissen musst. Auf den Puck warten und tun, was du am besten kannst. Letztes Jahr hast du uns durch sämtliche Qualifikationsrunden gebracht. Das wird dir auch dieses Mal gelingen, Martin. Was die Verteidigung angeht –«
»Machen Sie sich wegen der Verteidigung keine Sorgen, Coach«, sagte Ray. »Martin und ich werden uns schon darum kümmern.«
»Ja«, sagte Martin, und es war, als würde das Wort ›ja‹ einen Schalter in seinem Gehirn umlegen: Das Licht war wieder da. Er sah wieder klar und alle waren noch an ihrem alten Platz – Coach Dafoe, Ray, der Trainer, seine Teamkameraden –, taten das Gleiche wie zuvor. »Die Verteidigung ist kein Problem.«
»Du bist jetzt ein verheirateter Mann«, fuhr Coach Dafoe fort. »Diese Neuigkeit hat mich letztes Jahr ganz schön gebeutelt, wie ich zugeben muss. Ich dachte, wir hätten verloren, weil Martin abgelenkt war. Aber was weiß ich schon davon? Wer bin ich, zu entscheiden, was gut und was schlecht ist?«
»Sie könnten sagen, dass mir die Ehe gut tut«, meinte Martin.
»Zugegeben, letztes Jahr hast du dich selbst übertroffen.«
»Dann sagen Sie schon, dass sie mir gut tut!«, wiederholte Martin. Er war aufgewühlt von der Dunkelheit, die sich gerade auf ihn herabgesenkt hatte. Aber es war leicht, sie zu vergessen, denn seine Sicht war wieder klar.
»Sie tut dir gut«, bestätigte Coach Dafoe widerwillig. »Wir sind schließlich in den Finals, oder?«
»Da bin ich aber froh, dass Sie es bemerkt haben«, konterte Martin.
»Wo war sie übrigens? Bei den letzten Spielen, meine ich. Ich habe sie nicht gesehen.«
»Sie ist heute Abend hier«, erwiderte Ray brüsk. »Direkt am Eis mit Genny und den Kindern.«
Martin schloss die Augen. Er dachte an sein erstes Jahr in Boston zurück. Kurz nach Natalies Tod waren seine spielerischen Leistungen weit hinter seinen eigenen und den Erwartungen des Teams zurückgeblieben. Selbst die stärksten Batterien schaffen es nicht, ein Licht zum Leuchten zu bringen, wenn die Verbindungen eingerostet sind, und Martin war ausgebrannt, reagierte nur noch wie ein Automat. Die Begegnung mit May hatte ihn verändert, selbst während ihrer Trennung hatte sie ihm Antriebskraft für sein Spiel gegeben.
»Wir werden gewinnen«, sagte der Coach und schüttelte ihm die Hand.
»Gebt mir Jorgensen, mehr verlange ich nicht«, brauste Martin auf.
»Auf dem Silbertablett«, lachte Pete Bourque.
Martin senkte den Kopf. Er sah plötzlich doppelt. Nur leicht, als ob jeder Gegenstand in seinem Gesichtsfeld einen Schatten hätte. Einen Schatten mit den Konturen des Coachs, mit Rays Konturen. Martin schüttelte den Kopf und die Schatten verschwanden. Alles sah normal aus.
»Alles in Ordnung?«, fragte Ray.
»Alles bestens.« Martin wünschte, Ray würde etwas über die flackernden Lichter sagen, irgendetwas, womit er die unerklärlichen Vorgänge in seinem Gehirn und seinen Augen fern halten konnte, aber er erkannte an Rays Reaktion, dass die Beleuchtung in der Umkleidekabine unverändert
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