Was allein das Herz erkennt (German Edition)
wieder Kopfschmerzen?«
»Wieso fragt mich jeder, ob ich Kopfschmerzen habe? Du, Ray, der Coach. Lass mich in Ruhe, May.«
Sie dachte an Serge, der sich ebenfalls Sorgen gemacht und gefragt hatte, ob Martin unter Gleichgewichtsstörungen leide, da er beim Spielen die rechte Seite bevorzuge. In der Postkarte, die letzte Woche angekommen war, hatte er sie erneut darauf aufmerksam gemacht und gesagt, dass er Martins Rückhandschuss vermisse, mit dem er früher die Torhüter seiner Gegner zu täuschen pflegte.
»Du hast also keine Kopfschmerzen?«
»Nein. Habe ich nicht.« Er seufzte.
»Dann ist es ja gut.«
»Es ist nur der Druck, unter dem wir stehen.« Er senkte den Kopf, hielt ihr den Nacken hin. Sie massierte, lockerte einige Stellen, die völlig verhärtet waren, spürte die Verspannungen in Nacken und Schultern. »Wir müssen gewinnen, May. Ich muss gewinnen. Unbedingt. Und wir sind im Rückstand, mit drei zu null.«
»Du hast schon früher einen Drei-null-Rückstand aufgeholt und in einen Sieg verwandelt.«
Er zuckte die Achseln. »Ja, aber da hatte ich ein anderes Gefühl, als …«
»Hattest du jemals das Gefühl, es sei ein Kinderspiel? Dass dir der Sieg in den Schoß fällt?«
Er blickte unentwegt zu Boden, hatte die Augen auf den beigefarbenen Teppichboden des Hotels fixiert. Aber er hörte zu, wie May an der Neigung seines Kopfes sah, und weil er sich dem Gespräch nicht wieder entzog. Das ist ein Fortschritt, dachte sie. Sie liefen beide nicht mehr davon.
»Manchmal muss man mit dem Rücken zur Wand kämpfen, bevor man einen Ausweg finden kann«, sagte May.
»Einen Ausweg?«
»Den Weg zum …«
»Sieg«, sagte Martin und zog sie neben sich.
Nicht nur auf dem Spielfeld, dachte May, sagte aber nichts, sondern umarmte stumm ihren Mann und dachte an die Karte, die heute Morgen gekommen war. »Er kämpft mit seinen inneren Dämonen und muss sie besiegen.«
Jorgensen, seine Vergangenheit, seine unausgesprochenen Ängste, sein Bedürfnis, sich zu entziehen. Sein Vater kannte ihn weit besser, als Martin es sich vorstellen konnte.
»Bist du sicher, dass alles in Ordnung bei dir ist?«, hakte sie ein letztes Mal nach.
»Alles bestens. Ist das Kreuzverhör jetzt vorbei oder hast du noch Fragen?«
»Nur noch eine.« Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Liebst du mich?«
» Bien sûr, ich liebe dich.« Er grinste unmerklich, als er sie an sich zog, dann strich er ihr die Haare aus der Stirn und küsste sie auf den Mund. »Aber jetzt ist Schluss mit Fragen.«
*
Am Abend besiegte Boston Edmonton mit 3:0, dank eines Hattricks von Martin Cartier. Die Fans im Eisstadion von Edmonton rasteten aus und alle fragten sich, was in Martin gefahren war. Er kämpfte wie ein Tiger, den man von der Leine gelassen hatte, nahm jeden Puck, der ihm zugespielt wurde, sicher an und verwandelte ihn aus jeder Position in einen Torschuss. Als Boston das dritte Spiel gewann und damit ein Unentschieden in der Serie erzielte, verließen die Bruins Edmonton in euphorischer Stimmung.
Beim nächsten Spiel würde dann die Entscheidung fallen. In den Zeitungen erschienen Artikel über den großen Serge Cartier, und wie die Nachwelt Vater und Sohn vergleichen würde. Klatschgeschichten wurden verbreitet, über Serges Spielsucht und Martins Jähzorn, wie die Liebe Martin verändert hatte, und dass Boston tief in die Tasche gegriffen hatte, um so einen Eishockeystar einzukaufen, und nun wollte man mit einem Sieg im Stanley Cup sehen, dass er sein Geld auch wert war.
Nils Jorgensens Ruf als einer der besten Torhüter aller Zeiten war unerschütterlich. Martin Cartiers Name stand bereits im Buch der Rekorde: Als rechter Flügelstürmer hatte er die meisten Punkte – Tore und Vorlagen – zu verzeichnen und er hatte fast jede Trophäe im Eishockey geholt. Aber von den beiden Erzrivalen hatte bisher nur einer den Stanley Cup gewonnen.
Das wird sich heute Abend ändern , schwor sich Martin, und koste es mein Leben. Die Muskeln anspannend, dachte er an alles, wofür es sich zu kämpfen lohnte: für May, Kylie, seine verstorbene Mutter und Natalie, die Bruins, seine Teamkameraden und seinen besten Freund Ray.
Tief in seinem Innern dachte er dabei an einen weiteren Menschen, auch wenn er es nur selten und nicht gerne zur Kenntnis nahm: an seinen Vater. Seine Frau hatte den Zugang zu seinem Herz gefunden, hatte es berührt und wie von Zauberhand geöffnet.
Unfähig, May seine Gedanken zu offenbaren, stellte er sich das Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher