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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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übereinstimmen.« Er las bis zum Ende der Eintragungen, machte sich Notizen bei bestimmten Passagen.
    »Aber ich habe Kylie nichts von dem Besuch erzählt«, fügte May hinzu.
    »Ich denke, das spielt keine Rolle.«
    »Nein?«
    »Sie haben mit Kylie nie über diese Dinge gesprochen, die sie sieht. Sie …« Er hielt inne und nahm Klemmbrett, Kassettenrekorder und Notizbuch. »Sie sieht sie auch so.«
    »Sie meinen, ich habe sie ihr nicht suggeriert?«
    »Nicht, soweit ich es beurteilen kann. Aber kommen Sie, jetzt werden wir uns mit ihr darüber unterhalten.« Sie gingen in das Spielzimmer, um nach Kylie zu sehen.

    *

    Kylie sah ihre Mutter und Dr. Whitpen kommen, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Puppen zu. Sie blickten sie stumm an, die kleinen Wesen, die bei anderen Besuchen quicklebendig gewesen waren. Sie hatten ihr Witze und Geschichten zugeflüstert, hatten gelacht, wenn ihre großen Hände durch die kleinen Fenster kamen. Aber jetzt waren es nichts weiter als Puppen.
    »Hallo Kylie«, sagte der Doktor.
    »Hallo.«
    »Deine Mutter hat mir erzählt, dass ihr den Sommer am Lac Vert verbringt.«
    Kylie nickte. »Ich habe einen Hund.«
    »Thunder«, sagte er, das blaue Notizbuch zur Hilfe nehmend.
    »Ich kann jetzt lesen«, fügte Kylie hinzu und erinnerte sich an den Kreuzstich-Spruch. Ihre Nackenhaare sträubten sich, aber als sie ins Puppenhaus schaute, waren die kleinen Wesen immer noch nur Puppen. Irgendetwas fehlte.
    »Erzähl mir von dem Wandschrank im Esszimmer«, sagte er und ging neben ihr in die Hocke.
    »Natalie war da drinnen«, flüsterte Kylie. »Ich bin ganz sicher.«
    »Natalie hat geweint«, sagte er. »Du hast ihre Tränen gesehen.«
    »Sie sind an meinen Fingern kleben geblieben.«
    »Warum hat sie geweint?«
    »Weil etwas Schlimmes passieren wird.« Kylie hatte sich den ganzen Morgen so komisch gefühlt, so als wäre ihr schwindelig.
    »Was glaubst du, was passieren wird?«
    Kylie zuckte die Schultern. Sie mochte dieses neue Gefühl in ihrem Inneren nicht. Irgendetwas fehlte. Sie hatte ihrer Mutter noch nichts davon erzählt und sie wollte es dem Doktor auch nicht verraten.
    »Weiß jemand anderer, was passieren wird? Kannst du mir wenigstens das sagen?«
    Kylie schüttelte den Kopf. »Lass uns lieber Karten spielen«, sagte sie.
    Er nickte. Er hatte komische Haare, die ihm über die Augen fielen, und dann sah sie nicht, was er dachte. Wenn sie in die Augen eines Menschen blickte, ganz tief hineinschaute, konnte sie meistens seine Gedanken lesen. Aber im Moment versteckte er seine Augen. Er reichte ihr die Karten und sie teilte sie in zwei Stapel. Dann mischte zuerst er, danach sie, und sie begannen zu spielen.
    »Blau«, sagte sie.
    Er hielt die erste Karte hoch, überrascht. »Rot.«
    »Nächste Karte: blau.«
    »Rot.«
    »Nächste Karte: rot.« Aber sie war blau.
    Falsch, falsch, falsch. Kylie hatte alle falsch angesagt, bis auf eine. Sie warf abermals einen Blick auf das Puppenhaus: es waren nichts weiter als Puppen darin. Und was draußen vor dem Fenster sang, waren nichts weiter als Vögel. Sie spürte keine Zauberkräfte mehr in sich – nirgendwo mehr.
    *

    Als Martin das Air Canada Centre betrat, kreischten die Kinder und Jugendlichen vor Begeisterung. Zwar hatte er mit den Bruins hier gespielt, aber das war sein erstes Nachwuchstraining im neuen Eisstadion; früher hatte er es im alten Maple Leaf Gardens abgehalten, geheiligte Hallen für jeden Eishockeyspieler, gleich ob Veteran oder Grünschnabel.
    Während er die moderne Glasarchitektur musterte, sann er über Geschichte und Traditionen nach und fragte sich, was sein Vater von dem Neubau halten würde. Die Rufe »Martin!« und »Goldhammer« erwiderte er mit einem Winken und Lächeln.
    Es waren vor allem Jungen gekommen, im Alter zwischen acht und fünfzehn, obwohl Martin von Anfang an klar gemacht hatte, dass Mädchen gleichermaßen willkommen waren. Er hatte selbst eine Tochter gehabt und war lange von seiner Mutter trainiert worden.
    Martin war allein in der Umkleidekabine, weit und breit keine Spur von Ray, und er war froh darüber. Seine Hände zitterten, als er seine Schlittschuhe zuschnürte. Er war seit dem letzten Stanley-Cup-Spiel nicht mehr auf dem Eis gewesen, und May hatte mit ihrer Vermutung richtig gelegen: Seine Sehschärfe hatte seit Beginn des Sommers immer mehr abgenommen.
    Am Lac Vert spielte das keine große Rolle. Er stand nicht unter Druck, konnte seine Arbeit langsam verrichten und

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