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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Felsgestein, rundete die weichen Kuppen. Die Landschaft sah lebendig aus, wie verzaubert.
    »Du bist in Sicherheit«, flüsterte ihre Mutter. »Du bist jetzt wach. Ich bin bei dir.«
    »Ich habe ihn gerettet, oder?«, sagte Kylie aufschluchzend. »Den Mann, der in den Bäumen hing. Ich habe getan, worum er mich gebeten hat …«
    »Das hast du, Liebes.« Die Augen ihrer Mutter sahen verzweifelt aus. Kylie wusste, dass sie nach oben gehen und in dem blauen Buch schreiben würde, und morgen Früh würde sie wahrscheinlich Dr. Whitpen anrufen; der Gedanke stimmte sie so traurig, dass die Tränen noch schneller flossen.
    »Was hast du da?«, fragte Martin und griff nach dem Rahmen, den Kylie unter dem Arm hielt. Er wischte mit der Hand über das Glas und Kylie sah, dass seine Fingerspitzen mit Glimmer überzogen waren. Er glitzerte wie Diamantsplitter, wie Mondstaub, und plötzlich wusste Kylie, dass er von Engelstränen stammte.
    »Das Stickbild«, sagte ihre Mutter.
    »Meine Mutter hat es bei meiner Geburt gemacht. Ich habe es weggetan …«
    »Warum?«, fragte Kylie.
    »Weil es mich an Natalie erinnerte. ›Und ein Kind wird sie führen.‹ So war sie. Sie hat uns allen den Weg gewiesen.«
    »Das tut sie noch immer.« Kylie wusste, sie musste Martin begreiflich machen, dass die Zeit knapp wurde, dass er den Weg zu seinem Vater finden musste. Natalie hatte sie in die verborgene Kammer geführt, um ihr zwei Botschaften zu geben: das Bild und die glimmernden Funken. Aber nun war Kylie an der Reihe: Du bist das Kind; bring sie zusammen.
    »Es wird etwas passieren«, flüsterte Kylie.
    »Lasst uns alle zu Bett gehen«, sagte ihre Mutter. »Es ist schon spät.«
    »Das ist eine gute Idee.« Martin betrachtete das Bild mit gerunzelter Stirn.
    Kylie antwortete nicht. Sie blickte lange und angestrengt in seine blauen Augen und streifte mit den Fingerspitzen seine Lippen, als er sie auf die Stirn küsste. Als sie von ihm abrückte, sah sie, dass sie silberne Sprenkel auf seinem Mund hinterlassen hatte, Natalies Tränen.

    *

    Serge konnte nicht schlafen. Ein paar Idioten am Ende des Ganges versuchten, sich gegenseitig umzubringen, und brüllten wie am Spieß. Er zog sich das Kissen über den Kopf, aber der Krach drang sogar durch den harten Schaumgummi. Er setzte sich auf und sah auf seine Uhr: zwei Uhr morgens.
    Er gab den Gedanken an Schlaf auf und hockte sich auf die Kante seiner Pritsche, den Kopf in den Händen vergraben. Sein Mund war trocken und sein Herz hämmerte, als hätte er einen Kater, und dabei hatte er seit Jahren keinen Alkohol mehr angerührt. Laster wie dieses hatten seit dem Tag, als seine Enkelin starb, jeden Reiz für ihn verloren.
    Seine Augen brannten. Irgendjemand rauchte in der Nähe, aber es war keine Zigarette. Die Mauern des Gefängnisses rochen nach Drogen, Urin, Einsamkeit und Tod. Seine eigenen Zellenwände zeugten von Gier, Schuldgefühlen und einer endlosen Zeit ohne ein Wort von seinem Sohn. Der Tumult am anderen Ende des Ganges wurde immer größer und Serge wurde mit einem Schlag klar, dass es sich nicht um die üblichen Raufereien handelte.
    »He!«, brüllte er aus voller Kehle.
    »Halt die Schnauze!«, schrie jemand zurück.
    »Hilfe! Wärter, Hilfe!« Serge rief nach der Wache.
    »Halt die Schnauze, verdammt!«
    »Hilfe! Herrgott, warum hilft denn keiner!«
    Die Zeit verging, mehrere Minuten verstrichen, wie er auf seiner Armbanduhr sah. Obwohl es nirgendwo ein Fenster gab, spürte er einen eisigen Hauch durch seine Zelle wehen. Ein Schauer rann über seinen Rücken, die Haare auf seinen Armen standen zu Berge. Er dachte an die kalten Winde in Kanada, angefüllt mit dem Geruch der Kiefernwälder am Lac Vert.
    Vielleicht war jemand gestorben. Serge war als Kind gläubig gewesen, und bei dem Gedanken, dass bei dem Streit am anderen Ende des Ganges jemand zu Tode gekommen sein könnte, bekreuzigte er sich. Endlich hörte er eilige Schritte auf dem Gang, weitere folgten. Wärter, die erregt miteinander sprachen, Kollegen zur Verstärkung herbeiriefen. Tragen wurden herbeigeschafft, nach ein paar Minuten weggebracht.
    Auf seiner Pritsche kauernd, versuchte Serge zu erkennen, wen es erwischt hatte. Die beiden Körper waren mit Laken zugedeckt, so dass er nicht sagen konnte, ob die Männer nur verletzt oder tot waren. Aber er erhaschte einen Blick auf einen kahl rasierten Schädel.
    »Tino«, rief er, dann lauter: »Tino!«
    Die Wärter setzten ihren Weg wortlos fort.
    »He!«, brüllte

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