Was allein das Herz erkennt (German Edition)
wieder türmte, um Fifi zu suchen, und erneut von den Polizisten aufgegriffen würde. Thunder streckte die Nase in die Luft, atmete in vollen Zügen die frische Nachtluft ein.
Martin tat das Gleiche. Er fühlte sich wie befreit, hielt den Hund an der langen Leine. Er holte seine Brieftasche aus der Tasche und fand darin einen einzelnen Scheck. Er schrieb ihn auf den Betrag von fünfhundert Dollar aus und legte ihn auf den Schreibtisch der Frau. Da der Scheck mit seinem Namen unterzeichnet war, wusste er, dass morgen Früh vermutlich die Polizei vor seiner Tür stehen oder zumindest anrufen würde, aber es war ihm egal.
Die Hunde zu befreien und Thunder zu Kylie zurückzubringen, war es ihm wert. Als er ins Freie trat, hatte er plötzlich das Gefühl, dass es dunkler geworden war. Oder dass Nebel aufgekommen war. Thunder zerrte am Strick, aber Martin hatte die Orientierung verloren. Er war alleine, von pechschwarzer Finsternis umgeben, und konnte nicht sehen, welchen Weg er einschlagen musste.
*
Martin war draußen, aber wenigstens nicht mit dem Auto unterwegs. May saß auf dem Sofa und überlegte, wohin er gegangen sein mochte. Sie versuchte, sich auf die Erledigung des Papierkrams zu konzentrieren: Tobin hatte ihr die Rechnungen des letzten Monats geschickt und May machte sich mit Taschenrechner und Kugelschreiber an die Arbeit. Doch je mehr sie sich um Konzentration bemühte, desto mehr schweiften ihre Gedanken ab.
Als sie zum Fenster ging, um zum hundertsten Mal in die Dunkelheit hinauszublicken, erspähte sie das blaue Kuvert. Es lag im Papierkorb, zwischen Werbezetteln und alten Tageszeitungen, und May wusste, dass es besser gewesen wäre, keinen weiteren Gedanken mehr daran zu verschwenden. Aber sie konnte nicht. Vielleicht hätte ihr dieser elende blaue Umschlag weniger Kopfzerbrechen bereitet, wenn ihr Mann zu Hause gewesen wäre, wo er hingehörte, und sie sich um ihn nicht zu Tode ängstigen müsste.
Sie fischte ihn nicht nur aus dem Papierkorb, sondern öffnete ihn auch. Dann faltete sie das einfache blaue Briefpapier auseinander, legte es neben sich auf den Fenstersitz aus und las.
Lieber Martin,
Du hättest verdient, zu gewinnen, mein Sohn. Gewinnen ist nicht das Einzige, was im Leben zählt, aber wir besitzen beide Kampfgeist und den Willen, zu siegen. Du hast es wieder in die Finals geschafft. Das ist an sich schon eine fantastische Leistung. Und nächstes Jahr kannst du einen neuen Versuch wagen, wenn du eine Mannschaft hast, die hinter dir steht. Die Bruins sollten wissen, was sie an dir haben; ich kenne nämlich viele Teams, die sich ein Bein ausreißen würden, um dich zu bekommen.
Es ist viel Zeit vergangen, Martin. In der du darauf gewartet hast, den Stanley Cup zu gewinnen, aber auch in anderer Hinsicht. Seit wir zuletzt miteinander gesprochen, uns gesehen haben. Ich weiß durch Zeitung und Fernsehen, wie es dir ergangen ist, und dass du inzwischen verheiratet bist. Herzlichen Glückwunsch. Sie ist ein wunderbarer Mensch, und sehr mutig. Sie hat sich hervorragend gehalten, als die Presse versuchte, ihr eins auszuwischen. Und sie hat ein Kind, hat eine kleine Tochter mit in die Ehe gebracht. Das freut mich für dich. Erinnert sie dich an Natalie? Aus dem Foto in der Zeitung schließe ich, dass sie die gleichen strahlenden Augen hat.
Ich vermisse Nat. Ich weiß, du denkst, ich sei schuld an ihrem Tod und hätte sie nicht geliebt. Glaube mir, das ist nicht wahr. Ich habe sie über alle Maßen geliebt, bei Gott. Fast so wie dich.
Ich war ein schlechter Vater, ein schlechter Großvater. Menschen machen Fehler, Martin. Ich war nicht oft genug da für dich und deine Mutter. Ich habe mich nicht so um dich gekümmert, wie du es gebraucht hättest. Um sie auch nicht. Ihr habt nicht verdient, was ich euch angetan habe. Darf ich dir das persönlich sagen?
Was ich damit sagen will, ist: ich würde dich gerne noch einmal sehen. May hat es dir vermutlich schon erzählt. Ich bat sie bei ihrem Besuch, es dir auszurichten. Sie ist ein Mensch, der zu seinem Wort steht, und daher kennst du meine Bitte gewiss. Du hasst mich für das, was ich dir angetan habe. Aber wirst du wenigstens hören, was ich dir sagen möchte?
Heute Abend ist hier ein Mann gestorben. Er war noch sehr jung, ungefähr in dem Alter, in dem du warst, als du anfingst für Vancouver zu spielen. Er wurde bei einem törichten Streit erstochen. Zuerst dachte ich, er sei nur verletzt, aber ich erfuhr gerade von einem der Wärter, dass
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