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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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er tot ist. Ich mochte ihn. Ich hatte mir gewünscht, dass er seinen Kindern ein besserer Vater sein würde als ich.
    Wie immer deine Entscheidung auch ausfallen mag, ich muss damit leben. Aber ich hoffe, dass du dich entscheidest zu kommen.
    In Liebe
    Dad
    Als May den Brief zu Ende gelesen hatte, merkte sie, dass sie die Fäuste geballt hatte. Ihre Wangen glühten und waren nass. Sie las die Worte wieder und wieder. Sie fragte sich, ob Martin es sich nach der Lektüre des Briefes nicht doch noch einmal überlegen und seinen Vater im Gefängnis besuchen würde. Falls er überhaupt in der Lage war, die Worte zu lesen.
    »Mommy!«
    May schob den Brief hastig in den Umschlag und legte ihn in die Schreibtischschublade. Dann eilte sie die Treppe hinauf.
    »Was ist, Liebes?«
    »Ist Thunder wieder da?«
    »Noch nicht.«
    »Wo mag er nur stecken?«
    »Streunt durch die Gegend, nehme ich an. Kannst du nicht schlafen?«
    »Nicht richtig. Ich versuche es, aber –« Sie hielt inne, als das Telefon läutete.
    May rannte nach unten, ohne Kylie zu sagen, dass sie gleich zurück sei oder was auch immer. Noch bevor sie abhob, wusste sie, dass es Martin war.
    »May, ich bin’s. Ich bin im Tierheim. Ich habe Thunder gefunden.«
    »Ich hatte keine Ahnung, wo du steckst. Ich habe mir Sorgen gemacht!«
    »Ich brauche deine Hilfe.«
    Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
    »Ich kann nichts mehr sehen. Ich kann nicht sehen, wo ich bin.«
    »Ich hole dich ab. Ich bin gleich da!«
    May rief zu Kylie hinauf, sie solle sich Laufschuhe und Strickjacke anziehen, und lief voraus zum Wagen, in die warme, sternenhelle Nacht, um ihren Mann und den Hund nach Hause zu holen.
    Die kurze Fahrt kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Kylie war hellwach und dachte nur noch daran, dass Martin Thunder gerettet hatte. Als sie das Tierheim erreichten, öffnete sie die Tür und Thunder sprang hinein. May stieg aus, ihre Hände zitterten, als sie zu Martin ging und ihre Arme um ihn legte.
    »Wir sind da.«
    »Ich kann nichts sehen.« Seine Stimme war leise, voller Panik.

23
    I n Lac Vert und den umliegenden Ortschaften gab es keinen Augenarzt, aber May fand einen Optometriker im Zentrum von LaSalle, der Sehtests und Augenuntersuchungen durchführte. Die Fahrt über die schmalen kurvenreichen Landstraßen, teilweise von einem Spalier aus Kiefern und Eichen überschattet, dauerte fast eine halbe Stunde. Genny hatte Kylie ohne Fragen zu stellen abgeholt und mit zu sich nach Hause genommen, und Thunder war ausbruchsicher in der Küche eingesperrt. Die Polizei war da gewesen, um Martin zu dem Einbruch zu befragen, und ihn, mit pflichtschuldiger Miene, zu verwarnen.
    »Meine Augen sind besser«, sagte Martin.
    »Tatsächlich?«
    »Die Fahrt können wir uns sparen.«
    »Wir sind bereits auf dem Weg.«
    »Der Tag ist zu schön, um ihn in der Stadt zu vergeuden. Lass uns umkehren und zur Insel rudern.«
    »Bitte, Martin.«
    »Noch zehn Kilometer bis LaSalle«, las Martin.
    May war erleichtert, obwohl er vermutlich jedes Straßenschild in- und auswendig kannte. Sie klammerte sich an den Gedanken, dass sein Sehvermögen nur zeitweilig durch eine Migräne oder eine Infektion beeinträchtigt gewesen war und sich nun wieder von allein geklärt hatte.
    »Ich weiß auch so, was er sagen wird: dass ich eine Brille brauche.«
    »Das ist doch nicht schlimm.«
    »Wie soll ich mit Brille Eishockey spielen?«
    »Es gibt Kontaktlinsen.«
    »Gottlob bin ich davon verschont geblieben. Ich habe die Jungs immer bedauert! Abgesehen davon, dass man sie ständig reinigen und richtig einsetzen muss, lassen sie sich mit gepolsterten Handschuhen und Gesichtsmaske nur schwer wieder zurechtrücken, wenn sie bei einer Rauferei auf dem Eis verrutschen. Kennst du den Unterschied zwischen einem guten und einem erstklassigen Spieler?«
    »Der wäre?«
    »Erstklassige Spieler haben ein erstklassiges Sehvermögen. Daran gibt es nichts zu rütteln.«
    »Du bist ein erstklassiger Spieler.«
    »Der möglicherweise Kontaktlinsen braucht.«
    »Vielleicht brauchst du sie ja gar nicht.«
    »Ich hoffe es.«
    LaSalle war eine kleine Stadt, die auf einem Hügel lag. Man konnte von dort aus Lac Vert, den Ste. Anne River und hunderte von Hügeln und Tälern, Ausläufer der Laurentider Berge, überblicken. An den beiden Enden der Main Street befanden sich zwei katholische Kirchen, die eine mit Ziegeln, die andere mit weißen Schindeln gedeckt. Der Immobilienboom war an der Stadt mit ihren viktorianischen Häusern, einem

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