Was allein das Herz erkennt (German Edition)
von Bohnen aus der Dose und gerösteten Kartoffeln gelebt, während sein Vater es sich in den Vereinigten Staaten gut gehen ließ.
»Nicht daran denken«, ermahnte sich Martin laut, während er die Straße entlanglief. Mentale Disziplin: eine der wichtigsten Tugenden im Hochleistungssport. Er beherrschte sie meisterhaft, die Kunst, alles Störende aus seinen Gedanken zu verbannen: den blauen Umschlag, den er mit der Post erhalten hatte, dass Thunders Todesurteil gefällt war und dass er nur verschwommen sah, wohin er trat.
Seine Füße folgten dem Pflaster und hin und wieder flammte etwas Helles auf, vielleicht Sternenlicht, das durch das Geäst der Bäume fiel. Die Sterne waren herrlich, berührten ihn tief. Was wäre, wenn er sie nicht mehr sehen könnte? Wenn er nie mehr den dunklen Nachthimmel betrachten könnte, an dem unzählige Sterne flimmerten? Mentale Disziplin, ermahnte er sich. Nicht darüber nachdenken.
Das Tierheim lag nun vor ihm, direkt hinter der Kurve. Er hörte schon von weitem das Hundegebell, das die friedliche Sommernacht füllte. Thunders Stimme übertönte alle anderen, klang wild, flammend, sehnsuchtsvoll. Martin lief über den unbefestigten Parkplatz und verlangsamte seinen Schritt, als er sich dem massiven Backsteinbau näherte. Er rüttelte an jeder der beiden Stahltüren, aber sie waren verschlossen.
Bis zu seiner Ankunft hatte er sich keinen Plan zurechtgelegt. Er hob einen dicken Stein auf und ging zur vorderen Eingangstür. Sie war aus Stahl, hatte aber ein Fenster, das innen mit Maschendraht versehen war. Er holte aus, schlug mit voller Wucht gegen die Scheibe, die sofort in Scherben ging. Drei weitere Schläge waren nötig, um den Maschendraht zu zerreißen, dann griff er durch das Loch und schloss die Tür von innen auf.
Als er das Gebäude betrat, rauschte das Blut in seinen Ohren. Er war noch nie in seinem ganzen Leben irgendwo eingebrochen. Er hatte soeben eine Straftat begangen, auf die Gefängnis stand. Schweißgebadet und schwer atmend stand er da und versuchte, sich zu orientieren.
Genau hier , dachte er. Genau hier hatte Natalie gestanden. Dort drüben befindet sich der Schreibtisch der alten Frau, hier habe ich gestanden und Natalie gesagt, sie solle sich den Hund aus dem Kopf schlagen. Archie hieß er . Am anderen Ende des Korridors bellten die Hunde wie verrückt, als sie seinen Menschengeruch wahrnahmen. Thunders Gebell wechselte zu einem Winseln, und er bettelte, als wäre er ein kleiner Welpe.
»Komme schon«, sagte Martin laut.
Er prallte gegen den Schreibtisch und einen Stuhl, dann stand er vor einer weiteren verschlossenen Tür. Sie war nicht aus Stahl, aber er hatte nicht vor, Zeit mit der Suche nach dem Schlüssel zu vertrödeln, der möglicherweise sowieso nicht da war, und so rammte er seine Schulter in das Holz und hörte es splittern. Noch ein Stoß, und er hatte die Tür aus den Angeln gehoben.
Du bist keinen Deut besser als dein Vater. Ein Krimineller, der im Stande ist, über Leichen zu gehen. Du läufst Schlittschuh wie dein Vater, spielst Eishockey wie dein Vater, bist im Stande, über Leichen zu gehen, genau wie dein Vater.
»Ich bin nicht wie er«, sagte Martin zu den Hunden. Er befand sich in einem langen Raum, dessen Wände mit Käfigen gesäumt waren. Trotz des Radaus waren nur drei belegt. Von Thunder, der ihn schwanzwedelnd begrüßte, einem Schäferhund, der nach Promenadenmischung aussah, und einem schlammverkrusteten Retriever, der ebenfalls nicht reinrassig war. Ohne nachzudenken öffnete Martin alle drei Käfige.
Die beiden fremden Hunde stürmten an ihm vorbei in die Freiheit. Thunder bellte vor Freude und sprang an ihm hoch, so weit es seine kurzen Stummelbeine erlaubten. Martin bückte sich und ließ sich das Gesicht lecken. Er dachte daran, wie wenig es bedurfte, um einen alten Hund glücklich zu machen und einem kleinen Mädchen einen Herzenswunsch zu erfüllen. Kylie würde selig sein, ihren Hund wiederzuhaben.
Natalie wäre stolz auf ihn. Sie würde ihm sagen, dass er richtig gehandelt hatte, als er halbblind den See entlanggelaufen war, um Kylies Hund zu retten. Er hätte ihr erlauben sollen, Archie zu behalten. Das war ihm schon seit Jahren klar, aber jetzt, in eben diesem Augenblick, in diesem Gebäude, wo er sie enttäuscht hatte, spürte er es bis in die Knochen.
Thunder trottete zur Tür, führte ihn nach draußen. Martin holte den Strick heraus, den er in weiser Voraussicht mitgebracht hatte, damit Thunder nicht
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