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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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alten Lichtspielhaus und einer langen Reihe zweigeschossiger Bürogebäude spurlos vorübergegangen.
    Maurice Pilote, der Optometriker, hatte seine Praxis im zweiten Stock, direkt über dem Büro des Wirtschaftsprüfers Pierre Pilote. Als May und Martin eintraten, war er in ein Gespräch mit seiner Rezeptionistin und einem älteren Kunden vertieft. Die Unterhaltung erstarb, als sie Martin erkannten.
    » Mon Dieu! Martin Cartier! Es ist mir eine Ehre!«, rief Pilote und verbeugte sich tief, die Hand vor der Brust.
    »Wir haben keinen Termin«, begann May.
    »Für Sie?«
    »Nein, für mich«, sagte Martin.
    »Kommen Sie bitte mit.« Pilote trat zur Seite.
    Gemeinsam betraten May und Martin ein kleines Hinterzimmer. Martin erklärte ihm, er habe beobachtet, dass sein Sehvermögen zeitweilig zu wünschen übrig lasse und dass er gestern Abend – in stockdunkler Nacht und bei diesigem Himmel – zeitweilig überhaupt nichts mehr gesehen hatte. Der Optometriker hörte aufmerksam zu und machte sich Notizen auf seinem Klemmbrett. Dann führte er Martin in einen verdunkelten kleinen Raum und bat ihn, auf einem Stuhl gegenüber den Tabellen mit den Buchstabenreihen Platz zu nehmen, um einen Sehtest durchzuführen.
    »Ich hatte immer 6/6«, sagte Martin. Und zu May gewandt: »In Kanada; das entspricht 20/20.«
    »Perfekte Sehschärfe«, sagte Pilote. »Das würde Ihre perfekten Schüsse erklären. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich kann eine exzellente Brille für Sie anfertigen. Mein Gott, Martin Cartier, in meinem Stuhl! Sind Sie bereit? Bitte fangen Sie mit der ersten Zeile an.«
    Martin las die großen Buchstaben in der ersten Zeile ohne zu zögern: »E N Y I Z X.« Dann die nächste: »H L B T D A«, und die dritte: »Q F R M C.«
    May war abgrundtief erleichtert. Vielleicht fehlte ihm wirklich nichts mehr. Vielleicht waren sie im Nu wieder draußen und konnten zur Insel rudern, bevor der Vormittag um war.
    »Sehr gut. Nun werde ich Ihr rechtes Auge abdecken. Die erste Reihe bitte.«
    May wartete, dass Martin anfing. Sie las die Buchstaben stumm: E N Y I Z X. Im Raum herrschte Stille, bis auf das leise Summen einer Wanduhr. Der Optometriker räusperte sich. Für den Fall, dass Martin ihn nicht gehört hatte, sagte er abermals: »Die erste Zeile, bitte.«
    »Fangen wir mit dem anderen Auge an«, sagte Martin, ohne einen einzigen Buchstaben gelesen zu haben.
    »Sagen Sie mir einfach, was Sie mit dem linken Auge sehen, um den Rest kümmern wir uns später –«
    »Wir können genauso gut mit dem anderen Auge anfangen«, entgegnete Martin scharf.
    »Also gut.« Maurice Pilote deckte Martins linkes Auge ab.
    »E N Y I Z X«, las Martin. »H L B T D A. Q F R M C.«
    »Ausgezeichnet. Und jetzt mit dem anderen Auge.«
    Martin starrte auf die Tabelle, das rechte Auge abgedeckt, und versuchte, die Buchstaben mit dem linken zu entziffern. May sah, wie er sich konzentrierte, als rüste er sich für einen Schuss gegen Nils Jorgensen. Er blinzelte, beugte sich vor, runzelte die Stirn.
    »Nichts.«
    »Nur die oberste Zeile.«
    »Ich sagte, nichts.«
    Pilote hielt inne. Er überprüfte selbst die Tabelle, vergewisserte sich, dass Martins Auge richtig abgedeckt war. Er nahm den Pappendeckel weg, bat Martin, die Buchstabenkolonne mit beiden Augen zu lesen, danach mit dem rechten Auge. Als das das linke Auge wieder an die Reihe kam erhielt er die gleiche Antwort wie zuvor. »Nichts.« Maurice Pilotes Gesicht war blass und ernst.
    »Hatten Sie irgendwann einmal eine Augenverletzung?«
    Martin rang sich ein Lächeln ab. »Ich spiele Eishockey.«
    »Eine größere Verletzung, meine ich.«
    »Eine. Vor drei Jahren.«
    »Wann wurde die bei Ihnen letzte Augenuntersuchung durchgeführt?«
    »Im vergangenen Jahr. Während der routinemäßigen Untersuchung der gesamten Mannschaft.«
    »War der Sehtest ähnlich wie dieser oder umfassender?«
    »Es wurde nur das Nötigste gemacht.«
    »Ich möchte, dass Sie einen Spezialisten aufsuchen«, sagte der Optometriker.
    »Aber ich lese bestens mit beiden Augen.«
    »Auf dem rechten Auge ist Ihre Sehschärfe normal, oder beinahe«, räumte Pilote ein. »Es arbeitet für das andere mit.«
    »Aber ich sehe auf beiden Seiten ausgezeichnet. Sie haben es doch selbst gehört.«
    Pilote schüttelte den Kopf. »Sie sehen nichts mit dem linken Auge. Es ist buchstäblich blind.«
    Blind  … das Wort war ausgesprochen. May hatte das Gefühl, als ob es im Raum mit einem Mal eiskalt wurde, und Martin sah aus, als

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