Was allein das Herz erkennt (German Edition)
nicht«, sagte Enid. Sie war die jüngste und einzige noch lebende Schwester von Mays Großmutter, mit ähnlich blauweißen Haaren, hellblauen Augen und einer sanften Wesensart, hinter der sich eine tief verwurzelte Neugierde auf alles verbarg, was sich im Leben anderer Menschen abspielte.
»Die sind für dich«, klärte Tobin sie auf. Einige der Brautjungfern umringten sie und beugten sich vor, um zu sehen, von wem May Blumen erhalten hatte.
May las die beiliegende Karte: »Danke. Wir haben gewonnen. Martin Cartier.«
»Der Mann aus dem Flugzeug?«, fragte Tobin.
»Ja.«
»Martin Cartier?«, hakte eine der Brautjungfern nach. » Der Martin Cartier?«
»Er ist ein Eishockeyspieler.«
»Ich weiß. Und der attraktivste Athlet auf Gottes Erdboden«, schwärmte die Brautjungfer.
Eine schwarze Katze rieb sich an Mays Knöchel und sie erschauerte.
»Wie kommt es, dass Ihnen dieses Prachtexemplar von einem Mann Rosen schickt?«, fragte Mrs. Wilson.
»Wieso nicht?«, konterte Tante Enid mit halb geschlossenen Augen wie eine allwissende Katze.
May hielt den Strauß in der Hand, ließ sich von dem betäubenden moschusartigen Duft der Rosen einhüllen und mitreißen. Es war lange her, seit ihr ein Mann Rosen geschickt hatte; der Duft verschmolz Erinnerungen, die sie vergessen zu haben glaubte, und ihre Kehle brannte.
»Ich glaube, wir beide sollten eine lange Fahrradtour unternehmen«, sagte Tobin.
»Sobald alle weg sind.« May lächelte, als sie an den Rosen schnupperte.
3
B oston war eine Stadt, in der sich der Sport großer Beliebtheit erfreute, und die Zeitungen brachten zahllose Artikel, wie die Bruins in den Playoffs abgeschnitten hatten. May hatte sich nie wirklich für Eishockey interessiert, aber nun kaufte sie den Globe, las alles über Martin, verfolgte den Tabellenstand der Favoriten. Eine Woche später, an einem Samstagnachmittag, als im Bridal Barns Hochbetrieb herrschte, hatten Tobin und sie das Radio leise eingeschaltet, um das Spiel zu verfolgen.
»Was ist denn das für ein Geräusch im Hintergrund?«, fragte die Brautmutter stirnrunzelnd. Mrs. Randall war eine Matrone aus Black Hall mit Strickensemble, Ferragamo-Schuhen und einem Sinn für Schicklichkeit, der Sportsendungen in einem Brautsalon ausschloss.
»Das Spiel der Bruins«, erwiderte Tobin.
»Als wir das letzte Mal hier waren, bekamen wir wundervolle Musik zu hören, Sie wissen schon, dieses irische Mädchen.«
»Loreena McKennitt«, schaltete sich Tante Enid ein. »Ich lege sie auf.« Sie wollte den CD-Spieler einschalten, aber May ergriff ihr Handgelenk.
»Es steht 3:2 und es sind nur noch zwei Minuten zu spielen. Wir müssen hören, wie es ausgeht.«
»Liebes, wir sind hier im Bridal Barn. Deine Mutter hat immer gesagt, wir verkaufen nicht nur eine Hochzeit mit allem Drum und Dran, sondern die richtige Stimmung. Wenn sie sich Loreena McKennitt wünschen –«
»Ihrer Mutter wurde nie von Martin Cartier das Leben gerettet«, entgegnete Tobin. »Auch wenn Sie mich feuern, das sind die Playoffs und ich möchte sie zu Ende hören.«
»Sie hat Recht, Tante Enid«, sagte May.
»Die Atmosphäre ist das A und O in unserer Branche«, erwiderte Tante Enid schmollend und trollte sich.
Die Randalls erteilten ihnen trotzdem einen dicken Auftrag für Brautkleid, Blumenschmuck, Trauungszeremonie und anschließenden Empfang, und die Bruins gewannen, so dass alle zufrieden waren. »Die Bruins haben die Toronto Maple Leafs geschlagen«, verkündete der Reporter. »Martin Cartier erzielte das entscheidende Tor, und Boston ist eine Runde weiter gerückt, um mit den Edmonton Oilers um den Stanley Cup zu kämpfen.«
»Martin, Martin«, stimmte Kylie in die begeisterten Sprechchöre des Publikums im Radio ein.
»Martin?«, sagte May lächelnd, als Kylie den Vornamen benutzte und ihn auf frankokanadische Weise aussprach: Mar-tan.
Das Telefon läutete. »Bridal Barn«, meldete sich Tante Enid. Sie lauschte einen Augenblick, dann reichte sie May mit zufriedener Miene den Hörer.
»Hallo?«
»Wir gewinnen die Playoffs«, sagte Martin Cartier mit seinem französischen Akzent. »Ihre Rosenblätter – sie haben mir Glück gebracht.«
»Ich weiß, ich habe es gehört.«
»Wirklich? Sie interessieren sich für Eishockey?«
»Seit neuestem. Sind Sie noch auf dem Eis? Das Spiel ist doch gerade erst zu Ende gegangen.«
»Ich bin in der Umkleidekabine.«
»Aha.« Sie stellte ihn sich im Trikot vor, umgeben von seinen Teamkameraden. Sie konnte sie
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