Was allein das Herz erkennt (German Edition)
im Hintergrund lachen und rufen hören. Ihre eigenes Team – Kylie, Tobin und Tante Enid – hatte schweigend einen Halbkreis um sie gebildet und gab sich nicht die geringste Mühe, zu verheimlichen, dass es gespannt zuhörte.
»Haben Sie meine Rosen erhalten?«
»Ja. Sie sind wunderschön. Ich hätte mich gerne bei Ihnen bedankt, aber ich wusste nicht, wie ich Sie erreichen kann. Wie haben Sie mich gefunden?«
»May Taylor in Black Hall, Connecticut. Das war nicht schwer.«
»Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich Ihnen meinen Namen und meine Adresse gesagt habe, kein Wunder bei dem Tumult, der nach der Landung des Flugzeugs herrschte. Für Ihre Hilfe möchte ich mich auch noch einmal bedanken.«
»Wie geht es Ihrer Tochter?«
»Gut. Und was ist mit Ihnen?«
»Ich musste seither vier Mal ein Flugzeug besteigen. Die Vergangenheit holt mich nur nachts wieder ein, in meinen Träumen.«
»Mir geht es genauso.« Sie litt seit dem Flug von Toronto unter Alpträumen, erlebte immer wieder aufs Neue, wie ihre Augen und Kehle brannten, wie der Rauch Kylie und sie einhüllte, und dass sie keinen Ausweg aus dem Inferno sah … Kylie träumte von dem Engel, der ihr im Flugzeug begegnet war, ein ernstes kleines Mädchen mit weißen Flügeln, das über dem Kopf seines Vaters schwebte. May hatte die Begebenheit pflichtgetreu in ihrem Tagebuch vermerkt. Als sie nun daran dachte, warf sie Kylie einen flüchtigen Blick zu.
»Vielleicht können wir uns irgendwann einmal ausführlicher darüber unterhalten. Darf ich Sie wieder anrufen? Sie vielleicht zum Essen einladen?«
»Ich weiß nicht. In der Hochzeitsbranche herrscht derzeit Hochsaison. Ich bin ziemlich ausgebucht …«
» Bien .« Er klang enttäuscht. »Ich muss mein Flugzeug erwischen. Wir sind auf dem Weg nach New York, wo die nächste Runde der Serie stattfindet. Wünschen Sie mir Glück.«
»Das tue ich. Guten Flug.«
»Ich meinte beim Hockey.«
»Für das auch.« Sie fühlte sich niedergeschlagen, ohne zu wissen, warum.
Da für diesen Tag keine weiteren Kundinnen angemeldet waren, bat sie Tante Enid, für eine Stunde auf Kylie aufzupassen, damit sie mit Tobin eine Runde mit dem Rad fahren konnte. Die Eichen und Ahornbäume hatten frische grüne Blätter und die Kastanien begannen zu blühen. Violette Schatten breiteten sich über den schmalen, gewundenen Feldwegen aus, als die beiden Freundinnen hintereinander durch die Talsenke radelten.
Sie fuhren den Crawford Hill hinauf, schalteten in einen niedrigen Gang, um die lange Steigung zu bewältigen. May folgte Tobin und hielt das Tempo, als sie an der leer stehenden Mühle, an Childe’s Orchard und dem Kiefernwäldchen in der Mulde vorbeikamen. Die Landschaft hatte sich seit ihrer Kindheit kaum verändert und sie fragte sich, wie oft sie mit den Rädern dieselbe Route entlang gefahren waren. Als sie in die Old Farm Road einbogen, wo, wie sie wussten, kaum Verkehr herrschte, trat Tobin langsamer in die Pedale, damit sie nebeneinander fahren konnten.
»Was hat er gesagt?«, fragte Tobin. Nach so vielen Jahren konnten die Freundinnen beinahe die Gedanken der anderen lesen.
»Er hat mich zum Essen eingeladen.«
»War das der Teil, als du deinen unglaublich voll gepfropften Terminkalender erwähnt hast?«
»So habe ich es nicht formuliert –«
»Du hast alles getan, um dich aus der Affäre zu ziehen. Ich wusste es im selben Moment, als du die Worte ausgesprochen hast.«
»Wenigstens belausche ich nicht die Gespräche anderer.« May trat kräftiger in die Pedale. Sie fuhr mit voller Kraft voraus und spürte, wie der Schweiß zwischen ihren Schulterblättern herabrann. Sie hatte ein Engegefühl in der Brust, aber nicht von der Anstrengung. Sie hätte am liebsten geweint, ohne sagen zu können, warum.
»Entschuldige bitte.« Tobin schloss zu ihr auf. »Aber es passiert schließlich nicht jeden Tag, dass im Bridal Barn statt stimmungsvoller Musik ein Tohuwabohu auf der Eisbahn ertönt. Da habe ich mir natürlich so meine Gedanken gemacht.«
»Gedanken, worüber?«
»Du weißt schon, was ich meine.«
»Komm, lass uns ein Eis essen.« Sie fuhren den Crawford Hill auf der anderen Seite hinunter, vorbei an den weißen Kirchen der Stadt, aber wie schnell Tobin auch in die Pedalen trat, sie konnte nicht mithalten. Beim Einbiegen auf den kiesbestreuten Parkplatz kam May ins Schlingern und hätte fast den heruntergekommenen Paradise-Ice-Cream-Stand gerammt.
Die beiden Frauen bestellten ihr Lieblingseis:
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