Was allein das Herz erkennt (German Edition)
Bemerkungen der Psychologen. Aber wenn sie an ihre Mutter dachte, spürte sie gleichwohl, dass die innere Anspannung nachließ. Auf der anderen Seite des Raumes redete Tobin auf Mrs. Wilson ein, ihre Stimme und Augen waren unerschütterlich.
»Wir müssen planen, Listen machen!« Doras Stimme klang beinahe hysterisch. »Wie soll man planen ohne nachzudenken?«
May saß reglos da. Diese Braut, die nicht mehr die Jüngste war, lag ihr am Herzen. Sie wollte alles tun, um ihren Traum wahr zu machen. Plötzlich stellte May fest, dass sie an den Eishockeyspieler dachte.
Ihre Hände hatten sich gestreift, als er Kylie hochgehoben hatte, und seine blauen Augen schienen direkt in ihr Herz zu blicken. Schon seit langem hatte ihr kein Mann mehr auf diese Weise beigestanden. Da sie nun Dora unterstützen wollte, dachte May an Martin Cartiers Augen und räusperte sich.
»Planen kann man auch aus dem Bauch heraus. Und mit dem Herzen.« Sie streckte die Hand aus und berührte Doras Brustbein. Ihre Hand war ruhig und sie spürte, wie ein warmer Energiestrom durch ihre Fingerspitzen in die zitternde Braut floss. Dora war spröde und mürrisch, und ihre einundvierzig Jahre zeigten sich in den Linien um ihre schmalen Lippen. Doch nun fielen die Ängste von ihr ab und plötzlich sah sie wie sechzehn aus und wirkte sehr verletzlich.
»Sie haben doch immer von einer Trauung bei Kerzenschein geträumt«, erinnerte May sie.
»Ja, das stimmt«, flüsterte Dora und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Dann sollen Sie sie auch haben.«
»Aber meine Mutter …«
»Atmen Sie tief durch«, sagte May und hörte wieder die Stimme ihrer eigenen Mutter.
»Aber sie –«
»Atmen Sie tief durch und dann sagen Sie ihr klar und deutlich Nein.«
»Sie sind geschieden.« Tränen liefen über Doras Wangen. »Mein Vater lebt mit seiner zweiten Frau in Watch Hill. Ich habe keine Schwestern, ich bin ihre einzige Tochter. Sie möchte, dass ich die Dinge nach ihren Vorstellungen mache, sie hat auch Träume, und ich möchte sie nicht enttäuschen …«
»Ich weiß.«
Dora umarmte sie, aber May spürte es kaum.
Sie drehte sich um und durchquerte die offene Scheune. Sie schloss sich im Badezimmer ein und drehte den Hahn im Waschbecken auf. Der Wasserstrahl war hart, schnell und laut genug, um die Stimmen der Braut und ihrer Begleiter draußen vor der Tür zu übertönen. Sie drehte den Hahn noch weiter auf, bis das Wasser kochend heiß war, dann beugte sie sich vor, um den Dampf einzuatmen. Sie stellte sich vor, wie er die Knoten in ihrem Innern umfing und sie auflöste. Ihre Mutter hatte immer gesagt, sie müsse an ihre eigene innere Kraft glauben und sich bewusst machen, dass Magie etwas ganz Alltägliches sei.
Versucht gar nicht erst, vor der Wirklichkeit davonzulaufen, hatte ihre Mutter den Bräuten immer gesagt: versteckt euch nicht hinter Wein, Einkäufen, Gymnastik oder Arbeit. Bleibt wach, präsent, in Kontakt mit eurem wahren Ich und allem, was im Leben wirklich zählt. Als May den Kopf hob, war der Spiegel in Dampfwolken gehüllt. Sie wischte mit dem Handballen ein Fenster frei und blickte in die Augen einer ausgebrannten Hochzeitsplanerin. Sie wünschte, sie wäre in der Lage, den Geist ihrer Mutter heraufzubeschwören oder Trost in Kylies Visionen zu finden.
Vor der Badezimmertür hörte sie, dass sich die Frauen inzwischen friedlich unterhielten. Ihre Stimmen drangen durch das massive Holz, drangen in Mays Bewusstsein. Dora und ihre Mutter hatten ihren Streit beigelegt; die Hochzeit sollte an einem Freitagabend stattfinden, wie die Braut es sich wünschte.
May schloss die Augen. Viele Bräute hofften, dass ein perfektes Brautkleid, der perfekte Tag für die Trauung und der perfekte Mann unter dem Strich ein perfektes Leben ergaben. Solche Träume hatte May früher selbst gehabt. Sie hatte sich verliebt und gehofft zu heiraten. So viel dazu, was ihre eigene innere Kraft und den Zauber der Liebe betraf! Manchmal hatte sie das Gefühl, an ihrer eigenen Bitterkeit zu ersticken.
Doch dann dachte sie an Kylie. Die Liebe war nicht an May vorübergegangen, sie war nur in einer anderen Verpackung aufgetaucht. Sie trocknete sich das Gesicht, dann verließ sie das Bad. Tobin kam mit einem Arm voll pinkfarbener Rosen zu ihr herüber, Tante Enid im Schlepptau.
»Sind die für Dora?«, fragte May. Manche Männer ließen über Bridal Barn Blumen an ihre Angebetete schicken, eine Geste, die May unglaublich romantisch fand.
»Eigentlich
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