Was allein das Herz erkennt (German Edition)
hielten sich wohlweislich zurück. Martin spürte, wie sich der Brustkorb seines Vaters hob und senkte, und er hätte schwören mögen, dass seine Haare nach Kiefern und See rochen.
»Pass gut auf dich auf«, sagte Martin.
»Du auch. Und auf deine Familie.«
»Mach ich.« Er wollte sich umdrehen und gehen, doch plötzlich hielt er inne. »Und was ist mit dir? Kann ich etwas für dich tun?«
»Wenn du schon danach fragst – ja, das kannst du«, sagte Serge.
Epilog
E nde Mai war Boston wie elektrisiert: Die Eishockeyfans trauten ihren Augen nicht, als sich die Bruins nur mit knapper Not für die Playoffs qualifizierten, New Jersey im siebten Spiel der Serie mit Ach und Krach schlugen und – eine geradezu unheimliche Wiederholung der letzten beiden Jahre – in der Endrunde der Meisterschaft wieder gegen die Edmonton Oilers antreten mussten.
Da es ums Ganze ging, stand die Mannschaft unter Hochspannung. Wieder einmal wurden die Finals im Fleet Center ausgetragen, und die Zuschauer im ausverkauften Stadion waren aufgesprungen und lechzten nach Blut.
Martin Cartier stand in der Umkleidekabine.
Er hatte sich während der Saison rar gemacht, auch nach dem Weihnachtsanruf bei Nils Jorgensen. Der Goalie und er hatten sich zögernd gegrüßt, wenn sie sich über den Weg liefen, aber neuerdings erhielt er häufig Anrufe von dem Schweden; offenbar brauchte er ein Ventil, um Dampf über das Team, den Coach und den Mangel an Unterstützung in der Verteidigung abzulassen.
»Die Mannschaft hat offenbar nicht kapiert, dass ich nicht mehr ihr Gegner bin«, beschwerte sich Jorgensen.
»Kein Wunder, nach all den Jahren, wo sie gegen dich kämpfen mussten«, lachte Martin.
»Der Transfer war Mist; wir passen nicht zusammen. Ich werde mich nach einem anderen Verein umschauen müssen.«
Nach einiger Zeit begann Martin wieder, seine alten Freunde anzurufen, einen nach dem anderen. Alle Spieler, bis zum letzten Mann, freuten sich, von ihm zu hören. Sie erkundigten sich befangen nach seinem Befinden, aber Martin erzählte ihnen bereitwillig von seiner hervorragenden Ärztin, die noch immer auf eine Verbesserung seines Zustands wartete und die Hoffnung nicht aufgab, dass er eines Tages wieder sehen könnte.
Er hatte sich auch geduldig die Beschwerden seiner ehemaligen Teamkameraden über Jorgensen angehört – was für ein ausgemachter Idiot er sei und dass sie sich wie Verräter vorkämen, mit ihm zu spielen. Martin hatte ihnen nur lachend erklärt, sie sollten doch lieber die Vorteile sehen, mit Nils Jorgensen den besten Torhüter der ganzen NHL in ihrer Mannschaft zu haben, und sie auch dementsprechend nutzen.
Dann hatte er mit Hilfe von May und Kylie ein Geschenk für alle Bruins zusammen und ein spezielles für Jorgensen gemacht. Es war ein Spruchband, das Ray dem Team übergab, mit der Aufschrift: »KEINER IST BESSER ALS NILS JORGENSEN, AUSSER GOTT«. Und dem Goalie überreichte Ray einen alten Eishockeyschläger von Martin, auf den Kylie von Hand geschrieben hatte: »HIER IST SCHLUSS.«
Als er nun zum ersten Mal in der Saison wieder die Umkleidekabine betrat, erfuhr Martin, dass sein Spruchband über der Eingangstür zur Eisbahn hing und Jorgensen, seit er begonnen hatte, Martins Stock zu benutzen, im Vergleich zu den verlorenen Toren fünfmal so viele Tore gehalten hatte.
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte Ray.
»Alles in Ordnung.«
»Spiel sieben.«
»Da waren wir nicht zum ersten Mal.«
»Ist anders ohne dich.«
»Was heißt hier ohne mich«, protestierte Martin. »Ich bin doch da, oder?«
Der Coach trommelte die Spieler zusammen, um ihnen noch einmal richtig einzuheizen. Er schlug den für ihn typischen, rauen Ton an, gab seine Kampfparolen aus. Martin sah ihn direkt vor sich, wie er mit zusammengekniffenen Augen auf seinem gelben Bleistift kaute. Die Mannschaft stand da, hörte aufmerksam zu und trat nervös von einem Bein aufs andere.
»Ihr könnt es schaffen, ich weiß es«, sagte Coach Dafoe. »Ihr habt Talent und seid gut vorbereitet. Ich habe es schon letzten Sommer gesagt, an derselben Stelle: Dieses Mal packen wir es.«
Martin erinnerte sich mit einem kurzen vertrauten Anflug von Kummer und Bedauern daran und er fühlte ein merkwürdiges Schamgefühl in sich aufsteigen, weil er blind und nicht in der Lage war, seiner Mannschaft im Spiel beizustehen.
»Wir haben alles, was eine siegreiche Mannschaft braucht«, fuhr der Coach fort.
Martin senkte den Kopf und blickte zu Boden, damit niemand
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