Was allein das Herz erkennt (German Edition)
du mir?«
Martin schüttelte abwehrend den Kopf. Er zitterte am ganzen Körper. Doch dann erinnerte er sich, was Natalie gesagt hatte: dass Serge sich selbst am meisten hasse und es nicht nur eine Art von Gefängnis gebe.
»Martin«, sagte Serge bittend. »Antworte mir.«
»Ich weiß, dass du es ernst meinst.« Martin wischte sich über die Augen.
»Ich würde mit Freuden sterben, auf der Stelle, wenn sie dadurch wieder lebendig würde. Ich bin bereits gestorben, tausendmal, in meinen Gedanken. Die Schuldgefühle werden mich ein Leben lang begleiten.«
»Du solltest lernen, dir selbst zu verzeihen.«
»Das kann ich nicht«, sagte sein Vater rau und schmerzvoll. »Was ich getan habe, ist unverzeihlich.«
Martin holte tief Luft. »Ich verzeihe dir, Dad.«
Martin hörte, wie Serge zu weinen begann, während sein eigenes Herz hämmerte und Tränen über seine Wangen liefen. Er sah das Gesicht seiner Tochter vor sich, spürte das Eis unter seinen Schlittschuhen, als sie über den See fuhren, dachte an eine ähnliche Szene aus seiner Kindheit zurück. Er sah seinen Vater so deutlich vor sich, als könnte er ihn sehen, und erinnerte sich, wie aufregend das Beisammensein mit seinem Vater gewesen war, den er über alle Maßen geliebt hatte.
»Du musst dir selbst verzeihen, Dad«, sagte er noch einmal.
Serge putzte sich laut die Nase und einige der Häftlinge lachten.
»Natalie würde es so wollen.«
»Das wusste ich immer«, sagte Serge nach einer Weile. »Sie war ein Engel. Aber zu wissen, dass du mich hasst, war eine schwere Bürde. Nicht, dass ich es dir verdenken könnte.«
»Ich hasse dich nicht mehr.«
»Danke, mein Sohn.«
»Das habe ich May zu verdanken. Ich bin ein Glückspilz, Dad.«
»Ich weiß.«
»Wann wirst du entlassen?«
»In drei Jahren. Das ist in Ordnung. Es wird mir leichter fallen, den Rest meiner Strafe zu verbüßen, jetzt, wo ich weiß, wie du empfindest.«
Sie saßen schweigend da, lauschten dem Stimmengewirr der Leute ringsum. Da waren Kinder, die ihre Väter besuchten, Väter ihre Söhne, Ehefrauen ihre Männer und Schwestern besuchten ihre Brüder. Die Stimmen brandeten wie eine Welle über Martin hinweg und er wusste, dass es richtig gewesen war herzukommen. Als der Wärter das Ende der Besuchszeit ankündigte, spürte Martin eine Faust in seiner Magengrube.
»Ich bin froh, dass du da warst«, sagte Serge.
»Ich komme wieder«, versprach Martin.
»Kann ich irgendetwas für dich tun? Ich würde dir mein Augenlicht geben, wenn ich könnte.«
»Danke.« Martin versuchte zu lächeln.
»Was ich zu Kylie gesagt habe, war ernst gemeint. Du warst einer der Besten, Martin. Einer der ganz Großen .«
»Ich weiß nicht. Ich habe den Stanley Cup nicht gewonnen.«
»Glaubst du, das sei wichtig?« Serge flüsterte fast.
Martin nickte. »Ja.«
»Ist es aber nicht. Nicht die Bohne. Wenn ihn jemand verdient hat, dann du. Mit dir kann sich keiner der Eishockeyspieler von heute messen. Der Cup ist nichts weiter als ein dicker Brocken Metall.«
»Zwei Jahre in Folge war das Ziel zum Greifen nahe – und ich vermassele es in Spiel sieben, ein paar Sekunden vor Spielende. Ich habe meine Mannschaft enttäuscht.«
»Niemals. Sag so etwas nicht.«
»So ist es aber.«
»Schau sie dir doch an! Ohne dich werden sie es dieses Jahr nicht einmal bis zu den Playoffs schaffen. Jorgensens Leistungen als Torhüter sind seither katastrophal, und das ist sein Ende bei den Bruins. Dieses Mal hat der Cartier-Fluch ihn getroffen.«
Die beiden Männer lachten unter Tränen, doch dann schüttelte Martin den Kopf. »Ich möchte nicht, dass er verliert.«
»Ob du es willst oder nicht, du kannst es nicht verhindern.«
»Ich glaube, ich werde ihn heute Abend anrufen. Ihm sagen, dass er endlich in die Gänge kommen und zeigen soll, was in ihm steckt. Die Bruins können es schaffen und endlich den Stanley Cup holen. Auch dieses Jahr. Ray hat es verdient.«
»Ray Gardner.« Serge schüttelte den Kopf. »Du hast ihn mitgezogen, sonst hätte er den Sprung in die NHL-Profiliga nie geschafft.«
»Und du uns. Weil wir so stolz auf dich waren«, sagte Martin und wischte sich ungeschickt die Tränen aus den Augen. »Als du den Stanley Cup gewonnen hattest, war das ein Ansporn; wir hatten die Hoffnung, dass wir das eines Tages auch schaffen könnten.«
»Für euren Stolz habt ihr euch den Falschen ausgesucht.«
»Nein, Dad. So sehe ich das nicht.«
Sein Vater trat vor und umarmte ihn fest. Die Wärter
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