Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
nächsten Abend war kühl und friedvoll und Tausende von Laubfröschen stimmten ihren Gesang an. Die ersten Sterne waren am lavendelfarbenen Firmament aufgegangen. Kylie saß auf der obersten Querlatte des alten Holzzauns und hielt nach Martins Wagen Ausschau. Mommy hatte ihr erzählt, dass er kommen würde, aber das konnte sie erst glauben, wenn sie es mit eigenen Augen sah. Ein Flugzeug hoch oben am Himmel hinterließ einen weißen Kondensstreifen, wie eine magische Kreidespur. Kylie verfolgte sie mit den Augen, sah, wie sie verschwand, und dachte daran, dass sie ihre größte Eingebung in der Luft gehabt hatte.
    Nun hörte sie den Motor eines Autos. Es näherte sich mit großer Geschwindigkeit, kam von der Hauptstraße, klang laut und kraftvoll. Der Wagen tauchte zwischen den Bäumen auf, fuhr an den Feldern vorbei über die schmale Landstraße und hielt direkt vor ihr an. Auf dem Zaun balancierend, beugte sie sich hinab, um Martin ins Gesicht zu sehen. Der Wagen war ein schwarzes Kabriolett, sehr schmal, und Martin saß alleine darin.
    »Hallo! Du bist die junge Dame, die mich im Flugzeug angesprochen hat.«
    »Ich habe Sie gebeten, uns zu helfen, und Sie haben uns geholfen. Sind Sie gekommen, um meine Mutter abzuholen?«
    »Ja. Ist euer Haus in der Nähe?«
    »Da drüben.« Kylie deutete auf die Mulde, die sich auf der gegenüberliegenden Seite der Wiese befand. »Wenn Sie mich mitnehmen, zeige ich es Ihnen.«
    » Bien sûr . Herein mit dir.« Martin langte mit der Hand über den Sitz und öffnete die Tür auf der Beifahrerseite. Als Kylie sich in das Auto zwängte, klopfte ihr Herz. Sie musste das Richtige sagen, damit alles so ablief, wie es sollte.
    »Meine Mutter sieht heute Abend wunderschön aus.«
    »Ja, das kann ich mir vorstellen«, erwiderte er.
    Manchmal sah Kylie Dinge, die anderen Menschen verborgen blieben. Sie hätte schwören mögen, dass sie nachts ihre Urgroßmutter sah, die durch das Haus wanderte und ihren Weg mit einer Kerze beleuchtete. Sie sah den geflügelten Geist von Tally, ihrem kleinen Hund, der als Welpe von einem Auto überfahren worden war. Im Flugzeug hatte sie einen Engel gesehen, und manchmal spürte sie die Geister verstorbener Kinder um sich herum. Aber meistens sah sie stille Zeichen, die eigentlich für jedermann sichtbar waren.
    Wie der Ausdruck, der sich tief in den Augen eines Menschen verbarg, oder die Andeutung eines Lächelns hinter einem Mund, oder ein Wunsch, der in der Luft über dem Kopf einer Person eine schimmernde Wolke bildete. Lange Zeit hatte Kylie einen Wunsch um ihre Mommy schweben sehen, und seltsam war, dass sie den gleichen Wunsch um Martins Kopf wahrnahm, wie einen Heiligenschein. Er hatte mit Einsamkeit zu tun, mit der Suche nach jemandem. Kylie verspürte ihn selbst.
    »Glaubst du an böse Geister und gute Engel?« Sie musste ihn auf die Probe stellen.
    »Mmh, ich bin mir nicht sicher …«
    »Aber sie sind überall.«
    »In Geschichten, meinst du?«
    »Nein, im wirklichen Leben.«
    Er lachte, als ob er genau Bescheid wüsste. »Vielleicht. Ich begegne bösen Geistern auf dem Eis. In Gestalt meiner Rivalen in der gegnerischen Mannschaft.«
    Sie nickte. Obwohl sie nicht wusste, was ›Rivalen‹ waren, war die Antwort zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen. Es gab das Gute und das Böse in der Welt, und bei der Aufgabe, die Kylie für Martin vorschwebte, brauchte sie jemanden, der Himmel und Hölle auf den ersten Blick unterscheiden konnte.
    »Dein Auto gefällt mir. Es sieht aus wie die Autos der Spione im Film.«
    »Das ist ein Porsche.«
    »Ja.« Kylie spürte, wie der Wind ihre Haare am Hinterkopf durch die Luft wirbelte. Sie hatte noch nie in einem Auto ohne Verdeck gesessen und musste den Leuten zustimmen, die behaupteten, man fühle sich ähnlich wie auf einer Veranda. Oder als würde sie mit ihrer Mutter und Tante Enid unter dem Sternenhimmel sitzen, während die Grillen im hohen Gras zirpten. »Ich mag deine Veranda«, sagte sie.
    »Das freut mich«, erwiderte er lachend.
    »Meine Mutter ist viel schöner als jede Braut.«
    Er blickte sie an, sagte aber nichts.
    »Schöner als jede Braut auf der ganzen Welt.«

    *

    Das Licht im Restaurant war gedämpft und sehr romantisch, es lag idyllisch auf halber Höhe einer Landstraße, hinter dem alten Gemäuer der Abtei. Ein salziger Wind drang durch die geöffneten Fenster und die laue Nachtluft hüllte sie ein wie ein Seidenschal. Niemand schien Martin zu erkennen. Vielleicht lag es an der Entfernung zu

Weitere Kostenlose Bücher