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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Selbstgespräche. Das Bild nahm Gestalt an: der See, der Pavillon, Kiefern, ein Mädchen, eine Kappe, die auf dem Wasser trieb.
    »Martin redet nicht über ihn. Und auch nicht über Natalie.«
    »Nie?«
    »Kaum. Das Thema ist zu schmerzlich für ihn. Warum?«
    »Das könnte erklären, warum sich Kylie Martin ausgesucht hat; möglicherweise besteht da eine Verbindung.« Er klang aufgeregt.
    »Was für eine Verbindung?« May widerstrebte die Richtung, die die Unterhaltung angenommen hatte.
    »Der schreckliche Tod des Mädchens, die Unfähigkeit des Vaters, sich der Tatsache zu stellen –«
    »Was wollen Sie damit sagen? Dass Martin mich geheiratet hat, weil Kylie hellsichtig ist?« May stand auf. »Da sind Sie aber auf dem Holzweg! Er wollte nicht einmal mit hereinkommen. Er vertreibt sich jetzt irgendwo draußen die Zeit, auf dem Campus – er hat uns nur hergebracht und ist gleich wieder weg. Er will nichts mit dieser Sache hier zu tun haben.«
    »Ms. Taylor – ich meine, Mrs. Cartier. Bitte setzen Sie sich. Verzeihen Sie, aber das meinte ich nicht damit. Bitte!«
    May wollte Kylie nicht beunruhigen und nahm wieder Platz. Sie sah, wie Kylie Berge um den See malte, Wolken in den blauen Himmel, einen großen Fisch unter der Oberfläche des Wassers.
    »Was meinten Sie dann?«, sagte May.
    »Ihr Mann ist sich dessen vielleicht gar nicht bewusst. Vermutlich nicht. Ich denke an Kylie.«
    »Kylie?«
    »Ihre Tochter besitzt eine ganz besondere Gabe.«
    »Das wussten wir bereits.« Mays Herz klopfte. Sie wollte auf der Stelle gehen und nie mehr wiederkommen. Martin wartete unten. Sie würde Dr. Whitpen das Notizbuch überlassen, mochte er damit tun, was er wollte.
    »Natürlich, aber –«
    »Mir reicht es! Karten, Puppen, Traumtagebuch. Kylie hat eine besondere Gabe, das gebe ich zu. Unsere ganze Familie glaubt an Magie – jedenfalls auf eine gewisse Weise. So lange Kylie nicht krank, nicht schizophren ist …«
    »Das ist sie nicht. Aber sie ist auch nicht wie andere Mitglieder Ihrer Familie. Sie kann durch den Schleier sehen.«
    »Was für einen Schleier?« May hatte noch nie etwas davon gehört.
    »Den Schleier zwischen den Welten. Dieser Welt und der nächsten«, erklärte ihr Dr. Whitpen.
    May saß reglos da.
    »Warum haben Sie ausgerechnet diesen Weg im Lovecraft-Naturpark gewählt, ich meine an dem Tag, als Kylie und Sie den Erhängten fanden? Sie mussten mitten durchs Unterholz, um an die Stelle zu gelangen. Der Tote hing dort schon lange. Er wollte gefunden werden, hat auf Sie gewartet.«
    »Unsinn.«
    »Kylie hat es Ihnen gesagt, stimmt’s? Sie hat gesagt, dass sie den Pfad entlanggehen möchte.«
    May schloss die Augen, erinnerte sich an den Tag. Es war kühl gewesen, überall fiel das Herbstlaub von den Bäumen. Kylie hatte ihre Hand ergriffen und sie durch das dichte Gestrüpp gelotst, einen schmalen gewundenen Pfad entlang bis zu einer Lichtung, und dort waren sie auf das Skelett gestoßen. Richard Perry, ein Einzelgänger aus Kalifornien, der in Worcester mit Drogen gehandelt hatte, ohne Familie, die sich Gedanken machte, wo er stecken mochte, oder Sorgen, als er nicht nach Hause kam.
    »Kylie fühlte sich auf Anhieb zu Martin hingezogen, weil Natalie ihr etwas Wichtiges zu sagen hat«, fuhr Dr. Whitpen fort. »Etwas, von dem sie möchte, dass ihr Vater es weiß.«
    »Das glaube ich einfach nicht.«
    »Vielleicht hat es mit Natalies Großvater zu tun. Oder mit ihrem Tod. Es könnte sich um eine Botschaft handeln, oder eine Warnung für die Lebenden – für Martin selbst.«
    »Ich war immer offen für Ihre Ideen. Aber das ist mir zu verschroben.« May erhob sich und winkte Kylie. »Komm, Liebes. Wir fahren jetzt nach Hause.«
    »Der Schleier ist dünn, Mrs. Cartier«, sagte der Doktor. »So dünn, dass jeder von uns hindurchsehen könnte. Aber die meisten Menschen haben Angst davor und deshalb schauen sie lieber weg. Kylie nicht; sie wird weiter hinschauen, ob Sie ihr nun helfen oder nicht.«
    »Komm, Kylie.« Das Blut rauschte in Mays Ohren, als sie ihre Tochter an die Hand nahm. Plötzlich kam ihr Ben Whitpen wie ein verrückter Professor vor. Seine Erklärung für ihre Begegnung mit Martin war völlig an den Haaren herbeigezogen. Ihr Ego war angeschlagen. Sie nahm ihre Handtasche und ging zur Tür. Kylie machte ein überraschtes Gesicht, aber sie leistete keinen Widerstand. May sah das Notizbuch auf dem Fußboden neben ihrem Stuhl liegen. Zögernd hob sie es auf und verstaute es in ihrer

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