Was allein das Herz erkennt (German Edition)
Handtasche.
*
Das Geschäft lief auf Hochtouren, kaum dass sie wieder zu Hause war. Tobin brachte May auf Trab, als sie ihr die Ordner von sechs neuen Kundinnen überreichte.
»Ach du liebe Zeit, du hattest ja alle Hände voll zu tun«, sagte May.
»Ich wollte nur beweisen, dass wir es notfalls auch ohne dich schaffen.«
»Jetzt bin ich ja wieder da.«
»Und, wie fühlst du dich als verheiratete Frau?«
»Fantastisch.« May lachte, versuchte zu zeigen, dass alles in bester Ordnung war. Natalie, Martins Vater oder die Studie in Toronto erwähnte sie mit keiner Silbe. Nach dem letzten Anruf hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie zu viel preisgegeben hatte. Sollten bestimmte Dinge in einer Ehe nicht vertraulich bleiben? Nun würde Tobin Martin womöglich verurteilen und ihr alles unter die Nase reiben, was sie ihr über den Streit erzählt hatte.
»Wirklich?«
»Ja. Wir werden bis zum Beginn der Eishockeysaison in Black Hall bleiben, und dann ziehen wir nach Boston, in Martins Haus. Auf dem Beacon Hill.«
»Beacon Hill, soso. Da gehörst zu ja zu den oberen Zehntausend.«
May runzelte die Stirn.
»Das sollte ein Scherz sein, May.«
»Ich weiß«, sagte sie abwinkend. »Es ist nur … wir sind so glücklich. Die Flitterwochen am See waren himmlisch. Und jetzt kann ich es kaum erwarten, nach Boston zu ziehen.«
»Auf den Beacon Hill.«
May ging zu ihrem Schreibtisch, um die liegen gebliebene Arbeit nachzuholen und dem beklemmenden Gefühl zu entkommen, das sie plötzlich in der Gegenwart ihrer besten Freundin empfand. Sie fühlte sich verunsichert, wusste nicht, wo die Grenze lag zwischen dem, was sie ihr anvertrauen durfte und was sie lieber für sich behalten sollte. Konnte sie ihr erzählen, was Dr. Whitpen gesagt hatte, ohne allzu viel über die Cartiers auszuplaudern?
Später am Vormittag rief eine Sprechstundenhilfe aus Dr. Halls Praxis an, um Martins Termin für den folgenden Dienstag zu bestätigen und ihn daran zu erinnern, seine Röntgenbilder mitzubringen. Verwirrt versprach May, es ihm auszurichten. Tobin sah zu ihr herüber, aber May schwieg.
Als Martin an diesem Abend vom Training nach Hause kam, erzählte ihm May von dem Anruf.
»Ach ja! Nur die übliche Generaluntersuchung. Die Mannschaft möchte wissen, ob ich mein Geld noch wert bin.«
»Mehr nicht?«
»Eine Generaluntersuchung, c’est tout .«
»Aber sie hat Röntgenbilder erwähnt.«
Martin lachte. »Die muss ich immer mitbringen. Ich spiele Eishockey. Ich wurde so oft geröntgt, dass ich ihm Dunkeln glühe. Komm, lass uns nach oben gehen, dann werde ich es dir zeigen.«
»Habe ich schon gesehen –« May schmiegte sich in seine Arme. Sie küssten sich und er zog sie auf das Sofa.
»Ich werde dir verraten, worüber wir uns wirklich Sorgen machen müssen«, sagte er, ihren Hals liebkosend. »Die Reporter. Sie werden wie die Geier über uns herfallen – die Neuigkeit ist durchgesickert und die Geschichte von unserer Hochzeit wird Schlagzeilen machen. Wir können uns glücklich schätzen, dass die Leute am See unsere Privatsphäre respektieren. Ihnen haben wir unsere wunderbaren, ungestörten Flitterwochen zu verdanken.«
May hatte das seltsame Gefühl, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit sagte, dass er sie von der Sache mit dem Arzt ablenken wollte. Aber er hatte keinen Grund, sie wegen der Röntgenaufnahmen oder der Generaluntersuchung, der sich die gesamte Mannschaft unterziehen musste, anzulügen. Er war Eishockey-Profi. Verletzungen und Arztbesuche waren an der Tagesordnung.
Trotzdem spürte sie tief in ihrem Innern, dass Martin ihr irgendetwas verschwieg. Sie hätte am liebsten Tobin angerufen, um mit ihrer Freundin über ihre Befürchtungen zu sprechen, hatte aber Angst, dass sie das Unheil damit geradezu heraufbeschwor. Stattdessen ging sie hinauf, um nach Kylie zu sehen, und stand lange da, betrachtete ihr schlafendes Kind.
*
Später, als er neben May lag, lauschte Martin ihren gleichmäßigen Atemzügen. Sie wirkte angespannt seit dem Arztbesuch in Toronto. Er hatte gehofft, die Heimkehr würde sie beruhigen, aber sie wirkte seither noch besorgter. Heute Abend hatten sie sich geliebt und danach war sie endlich in seinen Armen eingeschlafen. Um sicherzugehen, beobachtete er, wie sich ihr Brustkorb hob und senkte. Dann stieg er leise aus dem Bett.
Er ging ins Bad und schloss die Tür. Dann knipste er das Licht an und musterte sich im Spiegel. So viele Narben, so viele Male, wo er von Schlägern und Pucks
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