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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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das manchmal passiert, daß er nicht mit ihr reden wollte. Es bedeutete nicht, daß er verärgert war. Aber bisweilen, nach dem Kino oder nach dem Theater oder nachdem ihre Gäste gegangen waren, wollte er einfach nicht mit ihr reden. Es war ein tiefsitzendes Gefühl, ein Gesetz seiner eigenen Natur, das hin und wieder befolgt werden mußte. Er liebte Sophie – er dachte über sie nach, über die Art von Frau, die sie war –, und sie war so sehr in sein Leben verstrickt, daß ihm die Zeit, in der er gefühlt hatte, daß sie von ihm weggehen wollte, mehr Leiden verursacht hatte, als er es sich selbst zugetraut hätte.
    Er drückte seine flache Hand gegen ihre Hüfte. Noch immer sagte sie nichts. Er war plötzlich wütend, merkte aber, während er störrisch weiterschwieg, daß es nicht so sehr sexuelle Enttäuschung war, sondern eine Verzweiflung, ähnlich der, die er empfand, wenn er ihren Arm packen mußte, damit sie, wenn sie zusammen eine Straße entlanggingen, mit ihm Schritt hielt.
    Er umklammerte ihre Hüfte und drehte sie zu sich, und als sie unter ihm auf den Rücken sank, sah er im schwachen Schimmer des Straßenlichts, das durch die Risse in den Fensterläden drang, ihre Augen wie dunkle Kleckse. Dann drang er ohne Umstände und auf perverse Weise erfreut über das Unbehagen, das er ihnen beiden damit verursachte, in sie ein. Als er sich zurückzog, nach einem Orgasmus von einer Intensität, die er nicht erwartet hatte, schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daßdieser plötzliche Impuls wenig mit Sinnlichkeit zu tun gehabt hatte.
    Sie bewegte sich ein wenig, drehte sich dann wieder auf ihre Seite, winkelte die Beine an und schob ihren Rücken gegen ihn hoch.
    «Ach, ja …», murmelte sie.
    «Entschuldigung», flüsterte er, und seine Stimme erstarb in einem Lachanfall.
    Dieses Mal hatte er sie drangekriegt.

13
    Es war sechs Uhr morgens. Durch die offene Küchentür fühlte Sophie das Licht der Morgensonne auf ihren nackten Füßen wie einen ausdauernden, ausdruckslosen, starrenden Blick. Sie schenkte sich ein gehörige Menge Whisky in ein Glas, schluckte ihn hastig hinunter, und während ihr Kopf nach hinten kippte, gewahrte sie die gewachste Oberfläche der Küchenschränke, ein Aufblitzen gescheuerter Töpfe, eine Reihe scharf geschliffener Sabatier-Messer, die an einem Magnetstreifen befestigt waren. Sie stellte das Glas ins Spülbecken und sah eine Linie, wie die Schleimspur einer Schnecke, aus getrocknetem grauen Schaum, die sich im Abfluß drehte, der Rest, die Spur nächtlicher Fluten eines in Rohren und Abwasserkanälen verborgenen städtischen Meers. Sie drehte den Hahn auf, spülte das Becken aus, gab laute, kindische Geräusche des Ekels von sich und amüsierte sich einen Moment über ihren eigenen Lärm. Dann ging sie rasch ins Eßzimmer, plötzlich gepackt von einem heftigen Verlangen nach mehr Sonne, nach Anzeichen von Leben in den Fenstern auf der anderen Seite des Hofes. Ein Buch lag aufgeschlagen auf dem Eßzimmertisch, ein roter Bleistift zwischen seinen Seiten. Eine Tasse stand daneben, und in der Tasse lag eine schwammige Zitronenscheibe. Otto mußte in der Nacht heruntergekommen sein, um hier zu lesen. Bevor er über sie hergefallen war oder danach? fragte sie sich und erinnerte sich, daß sie mißhandelt worden war, sich aber nicht so fühlte.
    Das kleine Stilleben, ein Echo von Ottos Präsenz, verunsicherte sie. Obwohl sie ihn gerade erst schlafend im oberen Stockwerk zurückgelassen hatte – nachdem sie schlagartig aus einem tiefen Schlaf erwacht war und sich neben dem Bett stehend wiedergefunden hatte, zitternd und am falschen Ort, als hätte sie die Nacht mit etwas Verbotenem verbracht –, ließen sie diese Mahnmale auf dem Tisch jetzt paradoxerweise an seiner Nähe zweifeln. Aber wahrscheinlich war es nur der Whisky. Sie hatte noch nie um sechs Uhr früh einen Drink zu sich genommen – es war eine grauenhafte Art, in einen Montag zu starten.
    Er hatte einen Absatz unterstrichen, und sie beugte sich über das Buch, um ihn zu lesen. Da stand etwas über antipäpstliche Aufstände und dann: «Vierzehnjährige Knaben wurden reihenweise erhängt, um dem Gesetz Genüge zu tun», und danach ein Zitat eines Augenzeugen: «Niemals habe ich Knaben so weinen gesehen!»
    «
Dem Gesetz Genüge zu tun
» war zweimal unterstrichen. Es hörte nicht auf, überlegte sie und schaute durch die Tür in den Garten und dachte pausenlos darüber nach, wie das Ding zu benennen sei, das nie

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