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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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unumstößlichen Naturgesetzen ab. Verdammter Kerl! Er hatte sie ins Haus eingeschlossen und zugleich ausgeschlossen.
    Aber wie lächerlich wäre es gewesen, wenn er geblieben wäre! Sie beide im Haus vor sich hin grübelnd, in der Erwartung, daß das Telefon läutete … Madam, die Katze war tollwütig … Gehen Sie zum Gesundheitsamt.
    War es der Anruf, vor dem sie Angst hatte? Oder war es das Bewußtsein, daß sie diese Impfungen ablehnen würde? War das der Grund, weshalb sie, jeder Vernunft, allen Beschwichtigungen und Statistiken zum Trotz, nach wie vor an nichts anderes glaubte als an das Ereignis selbst? Und daß sich die entsetzliche Gewißheit, daß das Telefon vor zwölf Uhr läuten würde, nicht von der Vernunft oder ihren Prinzipien herleitete, sondern eine verhängnisvolle Einschätzung ihres wahren Lebens war?
    «
Mein Gott, wenn ich tollwütig bin, dann bin ich genauso wie die Welt da draußen
», sagte sie laut und verspürte eine außergewöhnliche Erleichterung – so, als hätte sie endlich herausgefunden, was ein Gleichgewicht schaffen könne zwischen der Abfolge ruhiger, ziemlich unausgefüllter Tage, die sie in diesem Haus verbrachte, und jenen Vorzeichen, die die Finsternis am Rande ihrer eigenen Existenz aufhellten.
    Sie räumte die Küche auf und sagte sich dabei immer wieder: Ich muß nachdenken.
    Nachdenken, befahl sie ihrem Spiegelbild im Badezimmer. Dann bedeckte sie ihr Gesicht mit einer Creme, von der sie für hundert Gramm fünfundzwanzig Dollar bezahlt hatte. Sie beobachtete die schreckliche, unumkehrbare Kraft der weißen Haare, die sich ihren groben Weg durch die schwarzen Haare bohrten. Ihr Mund wurde weicher, verbreiterte sich zur Zweideutigkeit; die scharfe Kontur ihres Kinns wurde durch ein leichtes Schwellen des Fleisches verwischt. Sie nahm die Creme ab und rubbelte ihr Gesicht mit Seife ab. Als sie noch einmal in den Spiegel blickte, gesäubert, Wangen und Stirnso nackt, wie ein Körper nackt sein konnte, lächelte sie gewinnend und hoffte, einem Urteil gegen sich selbst zuvorzukommen, von dem sie merkte, daß es sich nach der Überprüfung ihres dahinschwindenden Äußeren bildete. Aber das Urteil – wie immer es auch ausgefallen wäre – entschlüpfte ihr, ehe sie es fassen konnte.
    Was sie einen Augenblick lang sah, waren die besiegten Energien ihres Vaters in ihren Augen und, damit vermischt, die zähe Kraft der Gesichtszüge ihrer Mutter, die sich alle auf geheimnisvolle Weise in sie selbst verwandelt hatten. Sie berührte den Spiegel, Finger auf Spiegelfinger.
    Das Telefon läutete. Sie nahm ohne jede Hast ab. Jetzt erwartete sie gar nichts.
    Es war Tanya, eine unverheiratete Freundin, die Sophie seit Jahren kannte und die sie gelegentlich einmal anrief. Sie mußte mit einem Mann Schluß gemacht oder mit einem neuen etwas angefangen haben. Inzwischen sahen sie sich nur noch selten, obwohl früher einmal so etwas wie ein Band zwischen ihnen bestanden hatte, vielleicht ein Band der Empfindsamkeit. Das war, als Sophie sich noch mit Übersetzungen beschäftigt und über ihre Arbeit eine Menge Leute getroffen hatte, die ihr seinerzeit interessant erschienen waren. Tanya war die einzige, mit der sie noch ab und zu Kontakt hatte. Damals wie heute arbeitete sie für eine französische Nachrichtenagentur, und sie hatte einmal einen kurzen Artikel über
Adolphe
verfaßt, der in einer drei Pfund schweren Vierteljahreszeitschrift veröffentlicht wurde, die nach der fünften Ausgabe vom Markt verschwand, vielleicht von ihrem eigenen Gewicht erdrückt. Trotz des exzentrischen und gezierten Stils des Essays war Sophie von seiner Kraft beeindruckt gewesen, einer so
heißen
Kraft im Vergleich zu Tanyas kalter, dünner Persönlichkeit eines alternden Mädchens. Sie war heute zu Hause geblieben, erholtesich von einer Erkältung und hatte plötzlich an Sophie gedacht, sagte sie, sie habe sich gefragt, wie es ihr gehe, ob sie an irgend etwas arbeite, sie hätten sich so lang nicht mehr gesehen, und was glaube Sophie, solle sie, Tanya, diesen Sommer nach Peru oder nach Mexiko fliegen? Aber bevor Sophie antworten konnte, fuhr Tanya fort und schilderte ihr die letzte in ihrer atemberaubend langen Reihe von Affären.
    Sophie ließ sich schwer auf das Bett fallen, hielt das Telefon fest und starrte auf die Zeiger der Uhr auf ihrem Nachttisch. Es hatte so viele Männer für Tanya gegeben – sie war wie eine Zeitkapsel, in der Männer Botschaften hinterlegten, die im Staub künftiger

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