Was am Ende bleibt
natürlich nicht angerufen. Ich nehme an, daß sie die Katze sofort loswerden wollen? Was werden sie tun? Sie erwürgen? Aber es hat tatsächlich jemand angerufen. Tanya. Am Anfang war es unsere übliche Unterhaltung. Aber dann habe ich Klartext mit ihr gesprochen. Ich meine, ich habe ihr gesagt, daßich sie satt hätte. Da hat sie mich eine dreckige Fotze genannt.»
Otto zuckte zusammen. Das gefiel ihm nicht. Sophie lachte. «O ja, das war das treffende Adjektiv, dreckig, genau das, was sie wirklich meinte. Sie ist nämlich wie eine Fee, weißt du. Schau nicht so! Ich habe mich mies gefühlt, aber nur eine Sekunde lang.»
«Was hast du gemacht, seit ich weggegangen bin?»
«Nicht viel. Erst jetzt ist mir eingefallen, daß ich meiner Mutter schreiben sollte. Ich habe mir überlegt, was ich ihr erzählen könnte.» Er starrte sie an.
«Ich bin froh, daß du nach Hause gekommen bist», sagte sie.
Der Nebenapparat auf dem Schreibtisch klingelte. Mit einem gewissen Widerwillen griff er danach. Sie schüttelte den Kopf und legte die Hand auf die Muschel. «Ich weiß, daß sie nicht anrufen. Ich sage dir, ich weiß es», sagte sie irritiert. Sie nahm den Hörer hoch.
«Sophie? Ist Otto da?» fragte Charlie Russel. «Ich habe im Büro angerufen, und da sagte man mir, daß er nach Hause gegangen sei. Ich muß mit ihm reden.»
«Augenblick.» Sie hielt Otto den Hörer hin. «Es ist Charlie.»
Otto schüttelte sich wie ein nasser Hund. «Nein! Nein! Ich werde nicht mit ihm sprechen.»
«Er wird nicht mit dir sprechen», wiederholte Sophie in die Sprechmuschel.
«Ich
muß
mit ihm reden», rief Charlie. «Es gibt tausend Dinge … Wie lang glaubt er, alledem aus dem Weg gehen zu können? Was ist mit früheren Verträgen?
Du holst ihn jetzt dran
!» Sie streckte den Hörer wieder aus. Otto sah auf ihn hinunter. Sie konnten beide Charlies gesenkte Stimme hören wie ein sirrendes Insekt.
«Ich bin verzweifelt!» kreischte das runde schwarze Loch.
«
Er
ist verzweifelt!» rief Otto. Sein verwirrter Blick fiel plötzlich auf das Tintenfaß auf Sophies Schreibtisch. Blitzartig packte er es und warf es mit voller Wucht gegen die Wand. Sophie ließ das Telefon auf den Boden fallen und lief zu ihm. Sie schlang ihre Arme so fest um ihn, daß er sich einen Moment lang nicht mehr rühren konnte.
Die Stimme drang immer weiter aus dem Telefon wie Gas aus einer lecken Leitung. Sophie und Otto hörten nicht mehr zu. Ihre Arme fielen von seinen Schultern herunter, und beide drehten sich langsam zur Wand, drehten sich, bis sie beide sehen konnten, wie die Tinte in schwarzen Linien zum Boden hinunterrann.
Jonathan Franzen
Anleitung zum Alleinsein
Deutsch von Eike Schönfeld
Wozu der Aufwand?
(Der
Harper’s
Essay)
Meine Verzweiflung über den amerikanischen Roman setzte im Winter 1991 ein, als ich nach Yaddo flüchtete, die Künstlerkolonie im Staat New York, um die letzten beiden Kapitel meines zweiten Buchs zu schreiben. Kurz davor hatten meine Frau und ich uns getrennt, und ich führte ein Leben selbst auferlegter Einsamkeit in New York City, verbrachte lange Arbeitstage in einem kleinen weißen Zimmer, packte gemeinsamen Besitz aus zehn Jahren zusammen und unternahm nächtliche Spaziergänge auf Straßen, in denen zu gleichen Teilen Russisch, Hindi, Koreanisch und Spanisch gesprochen wurde. Doch selbst im tiefsten Queens erreichten mich Nachrichten übers Fernsehen und meine abonnierte
Times
. Das Land bereitete sich ekstatisch auf einen Krieg vor, und die einschlägigen Phrasen lieferte George Bush: «Es geht um lebenswichtige Prinzipien.» Wegen der neunundachtzigprozentigen Zustimmungsrate für Bush, aber auch wegen des nahezu vollständigen Ausbleibens öffentlich formulierter Kriegsskepsis erschienen mir die Vereinigten Staaten hoffnungslos losgelöst von jeglicher Realität – gefangen in einem Traum vom Ruhm durch die Massakrierung gesichtsloser Iraker, einem Traum von nie versiegenden Ölquellen für stundenlange Pendlerfahrten, einem Traum von der Aufhebung historischer Gesetze. Also träumte ich von Flucht. Ich wollte mich vor Amerika verstecken. Doch als ich dann in Yaddo eintraf und erkannte, dass es kein Refugium war – die
Times
kam täglich, und die anderen Kolonistenunterhielten sich unablässig über Patriot-Raketen und die gelben Denkt-an-die-kämpfende-Truppe-Schleifen –, fand ich zunehmend, dass ich eigentlich ein Kloster brauchte.
Eines Nachmittags stieß ich in der
Weitere Kostenlose Bücher