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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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Jahrhunderte zu lesen sein würden. Kein Mann war, wie es schien, je zu diesem Muttertöchterchen vorgedrungen. Sie blieb wie immer eine vogelgleiche Stimme am Telefon, und jetzt, als Genesende – Sophie war sich sicher –, in einen teuren und schlechtsitzenden Hausmantel gekleidet, unversöhnlich, unerschütterlich, ungeheuer jungfräulich. Sie ist verrückt, dachte Sophie. Sie ist keine Hure, sie ist nicht frigide – einfach nur wahnsinnig.
    «Seine Frau ist eine Flasche», sagte Tanya. «Das arme Würstchen kriecht in mein Bett, als wäre es Chartres. Weißt du, er hat die ganze Wohnung für mich ausgemalt! Drei Schichten! Er hat zwar Arthritis im Handgelenk, aber er weiß, wie abgebrannt ich bin, und die Wände hatten diese New Yorker Verzweiflungsfarbe, und so hat er es einfach selbst gemacht. Er ist ein goldiges Würstchen –»
    «Warum räumst du nicht einmal für ein halbes Jahr das Feld?» unterbrach Sophie sie schreiend. «Weißt du nicht, wie blöd du bist? Du glaubst, nur weil es der Mann von irgendeiner anderen mit dir treibt, hättest du gewonnen! Du arme, dumme, alte Schreckschraube! Wen willst du eigentlich auf den Arm nehmen?»
    O Gott, hatte sie sie totgeschrien? Am anderen Ende der Leitung kein Laut, nicht einmal das Säuseln eines Atems. Sophie zitterte, ihre Hände waren feucht. Dann hörte sie so etwas wie ein Zischen, das zu Worten gefror, ausgespuckt wurde, wie zerbrochene Zähne aus einem verletzten Mund.
    «Du … dreckige … Fotze!» sagte es. Sophie ließ den Hörer auf die Gabel fallen.
    Sie fing an, das Haus gründlich zu putzen und lenkte sich so von dem erstaunlichen Wortwechsel am Telefon und von ihrem eigenen Wutausbruch ab. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf das nach Lavendel duftende englische Wachs gerichtet, mit dem sie die Möbel polierte.
    Die Stoßzeit des Vormittagsverkehrs war vorbei. Auf der Straße draußen war es ruhig. Doch das war eine Täuschung. Es war eine Belagerung im Gange – schon seit langer Zeit, aber die Belagerten selbst waren die letzten, die sie ernst nahmen. Erbrochenes vom Gehsteig abzuspritzen war nur eine provisorische Maßnahme, wie eine gute Absicht. Die Reihen schlossen sich – Mike Holstein hatte das gewußt, als er mit dem Stein in der Hand in seinem Schlafzimmer stand –, aber es war fast unmöglich zu wissen, wo die Reihen waren.
    Sophie machte sich eine Tasse starken Kaffee und ging an ihren Schreibtisch im Schlafzimmer. Sie mußte ihrer Mutter schreiben, bevor ihr innerer Drang erstarb, bevor es zu spät war. Dieses Mal hätte sie ihr etwas zu erzählen, eine Geschichte, mit der die Leere der Seite gefüllt werden konnte, um das tatsächliche Schweigen zwischen ihnen Lügen zu strafen, das eingesetzt hatte, als Sophie von zu Hause weggegangen war, nachdem sie zum letzten Mal von diesem hämischen Applaus geweckt worden war. Sie würde ihr etwas über die Katze schreiben; ihrer Mutter würde das gefallen. Sie würde den Vorfall so schildern,daß sie, vorausberechnet, genau den richtigen Ton treffen würde, um die Verachtung und die helle Freude der alten Frau zu wecken.
    Aus einer Schublade nahm sie Papier und ein Kuvert. Sie füllte den alten Füllfederhalter, den Otto in einem Antiquitätenladen für sie gefunden hatte, in einem kleinen Tintenfaß aus Kristallglas, das auf silbernen Klauenfüßen stand. Der Fuß des Schreibtischstuhls hatte sich in den Fransen des Teppichs verfangen, aber in dem Moment, in dem sie sich vorbeugte, um ihn zu befreien, hörte sie das Geräusch eines Schlüssels in der Eingangstür. Sie stand auf und blickte überrascht auf ihre Nachttischuhr. Es war kurz vor Mittag. Ottos Schritte waren auf der Treppe zu hören; dann kam er ins Schlafzimmer.
    «Ich habe ein paar Sachen erledigt, dann wollte ich gleich nach Hause kommen», sagte er. Er sah sehr müde aus. «Ich wollte dich anrufen, um dir zu sagen, daß ich komme, aber ich hatte Angst, daß das Läuten des Telefons dich erschrecken würde. Du hättest geglaubt, sie hätten herausgefunden, daß die Katze tollwütig war. Die U-Bahn war grauenvoll. Ich war wütend … Ich habe die Kanzlei schon um halb elf verlassen und habe bis jetzt gebraucht. Ein paar Jugendliche haben randaliert. Sie haben etliche Fenster eingeschlagen und …
    Jugendliche
!» Mit verzehrender Bitterkeit wiederholte er das letzte Wort. «Deshalb hatten alle Züge Verspätung. Ich wußte nicht, was ich machen sollte.»
    «Es war schon in Ordnung», sagte sie. «Der Tierschutzverein hat

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