Was am Ende bleibt
kleinen Bibliothek von Yaddo auf Paula Fox’ Kurzroman
Was am Ende bleibt
und las ihn. «Sie würde problemlos davonkommen!» ist die Hoffnung, die die Hauptfigur des Romans, Sophie Bentwood, erfüllt, eine kinderlose, mit einem konservativen Anwalt unglücklich verheiratete Frau aus Brooklyn. Sophie übersetzte früher einmal französische Romane; jetzt ist ihre Stimmung so gedrückt, dass sie sie kaum noch lesen kann. Gegen den Rat ihres Mannes Otto hat sie einer streunenden Katze Milch gegeben, und die Katze hat ihr diese Freundlichkeit damit vergolten, dass sie sie in die Hand gebissen hat. Sogleich fühlt Sophie sich «lebensgefährlich verwundet» – sie wurde «grundlos» gebissen, genau wie Josef K. in
Der Prozess
grundlos verhaftet wird –, doch als die Schwellung ihrer Hand zurückgeht, ist sie ganz ausgelassen vor Hoffnung, dass ihr die Tollwutspritze erspart bleibt.
Sie will «davonkommen», und zwar nicht nur mit ihrer maßlosen Freundlichkeit der Katze gegenüber. Sie möchte auch ohne Konsequenzen die mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Romane lesen und
omelettes aux fines herbes
essen können – in einer Straße, wo Obdachlose in ihrem eigenen Erbrochenen liegen, und in einem Land, das einen schmutzigen Krieg in Vietnam führt. Sie möchte, dass ihr der Schmerz erspart bleibt, sich eine Zukunft jenseits von ihrem Leben mit Otto vorzustellen. Sie möchte weiterträumen. Doch die Logik des Romans lässt das nicht zu. Stattdessen wird sie gezwungen, zwischen dem Persönlichen und dem Gesellschaftlichen eine Parallele zu ziehen:
Mein Gott, wenn ich tollwütig bin, dann bin ich genauso wie die Welt da draußen
, sagte sie laut und verspürte eine außerordentliche Erleichterung– so, als hätte sie endlich herausgefunden, was ein Gleichgewicht schaffen könne zwischen der Abfolge ruhiger, ziemlich unausgefüllter Tage, die sie in diesem Haus verbrachte, und jenen Vorzeichen, die die Finsternis am Rande ihrer eigenen Existenz aufhellten.
Was am Ende bleibt
, 1970 unter dem Titel
Desperate Characters
erschienen, endet mit einem Akt prophetischer Gewalt. Unter der Last seiner sich auflösenden Ehe zusammenbrechend, nimmt Otto Bentwood ein Tintenfass von Sophies Schreibsekretär und schleudert es an die Schlafzimmerwand. Die Tinte, mit der seine juristischen Bücher und ihre Übersetzungen geschrieben worden sind, bildet nun einen unleserlichen Fleck. Die schwarzen Linien an der Wand sind sowohl Zeichen des Verhängnisses als auch Vorboten einer außerordentlichen Erleichterung, das Ende einer fiebrigen Isolation.
Durch die Gleichsetzung einer bröckelnden Ehe mit einer bröckelnden Gesellschaftsordnung sprach
Was am Ende bleibt
genau die Ambivalenzen an, die ich in jenem Januar erlebte. War es gut, oder war es schrecklich, dass meine Ehe in die Brüche ging? Und war der Kummer, den ich verspürte, die Folge einer inneren Krankheit der Seele, oder wurde er mir von der Krankheit der Gesellschaft auferlegt? Dass außer mir noch jemand anders an diesen Ambivalenzen gelitten und am Ende des Tunnels Licht gesehen hatte – dass Fox’ Buch veröffentlicht und aufbewahrt worden war; dass ich Gesellschaft, Trost und Hoffnung in etwas finden konnte, das ich beinahe wahllos aus einem Regal gezogen hatte –, war für mich wie ein Vorgang religiöser Gnade.
Doch während ich als Leser durch die Lektüre von
Was am Ende bleibt
gerettet wurde, verzweifelte ich als Autor von Romanen an der Frage, ob und wie sich das Persönliche mit dem Gesellschaftlichen verbinden ließ. Der Leser, der heute zufällig auf
Was am Ende bleibt
stößt, wird über die Fremdheitder Bentwood’schen Welt ebenso verblüfft sein wie über ihre Vertrautheit. Ein Vierteljahrhundert seitdem hat die Kulturkrise, die Paula Fox registrierte, eher noch bestätigt und verstärkt. Doch von dem, was uns nun Kern jener Krise zu sein scheint – der triviale Aufstieg des Fernsehens, die elektronische Fragmentierung des öffentlichen Diskurses –, ist im Roman noch nichts zu sehen.
Für die Bentwoods war Kommunikation gleichbedeutend mit Büchern, einem Telefon und Briefen. Da strömten die dunklen Vorzeichen nicht ununterbrochen durch einen Kabelkonverter oder ein Modem; sie waren erst vage erahnt, an den Rändern der Existenz. Ein Tintenfass, heute viel zu heimelig, war 1970 als Symbol noch denkbar.
In einem Winter, in dem jeder Haushalt in Amerika von der gespenstischen TV-Präsenz Peter Arnetts in Bagdad und Tom Brokaws in Saudi-Arabien
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