Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
nicht einmal edel.
Das Öffnen dieser Tür veränderte ihre Welt und veränderte das Leben auf tausend Planeten über Generationen hinweg, aber das Öffnen selbst war nichts Ungewöhnliches. Es war die Laune einer völlig frustrierten und leicht unglücklichen Frau. Nichts weiter. Alle anderen Darstellungen waren Idealisierungen, Beschönigungen, Entstellungen.
Sie bekam tatsächlich einen Schreck, als sie die Tür öffnete, aber nicht aus den Gründen, die ihr später von den Künstlern und Historikern nachgesagt wurden.
Sie erschrak, weil hinter der Tür Stufen lagen und weil diese Stufen hinunter zu einer sonnenüberfluteten Landschaft führten – wahrhaftig ein unerwarteter Anblick in jeder Welt. Elaine blickte von der neuen Stadt auf die alte Stadt. Die neue Stadt erhob sich mit ihrer Kuppel über die alte Stadt, und als sie nach »innen« blickte, sah sie den Sonnenuntergang über der Stadt, die zu ihren Füßen lag. Sie war von der unerwarteten Schönheit gebannt.
Dort die offene Tür – und dahinter eine andere Welt . Hier die alte vertraute Straße, sauber, beeindruckend, still, nutzlos, über die ihr eigenes nutzloses Selbst tausendmal geschritten war. Dort – etwas anderes. Sie kannte nicht die Wörter »Märchenland« oder »Zauberwald«, doch hätte sie sie gekannt, wären sie ihr zweifellos in den Sinn gekommen.
Sie blickte nach rechts, nach links.
Die Passanten beachteten weder sie noch die Tür. In der oberen Stadt begann sich der Sonnenuntergang soeben erst vorzubereiten. In der unteren Stadt war er bereits ein Blutrot mit Streifen aus Gold, einer riesigen erfrorenen Flamme ähnlich. Elaine wusste nicht, dass sie schnuppernd die Luft einsog; sie wusste nicht, dass sie den Tränen nahe war; sie wusste nicht, dass ein zartes Lächeln, das erste Lächeln seit Jahren, ihre Lippen teilte und ihrem müden erschöpften Gesicht einen flüchtigen Ausdruck von Lieblichkeit verlieh. Sie war zu sehr damit beschäftigt, sich umzusehen.
Die Leute gingen ihren Geschäften nach. Am Ende der Straße machte ein Untermenschentyp – weiblich, vermutlich eine Katze – einen großen Bogen um einen Wahren Menschen, der mit langsameren Schritten daherkam. In der Ferne umflog ein Polizei-Ornithopter gemächlich einen der Türme; falls die Roboter Elaine nicht mit einem Teleskop beobachteten oder falls sie nicht über einen der seltenen Falken-Untermenschen verfügten, die manchmal von der Polizei eingesetzt wurden, würde man sie nicht entdecken.
Sie trat über die Türschwelle und schloss die Tür hinter sich.
Sie wusste es nicht, aber mit dieser Bewegung verloren ungeborene Zukünfte ihre Existenzen, flammten Rebellionen in den kommenden Jahrhunderten auf, starben Menschen und Untermenschen aus seltsamen Gründen, änderten Mütter die Namen ungeborener Lords und segelten Sternenschiffe aus Räumen zurück, von denen der Mensch bisher nicht einmal geträumt hatte. Der Weltraum 3 , den es immer gegeben hatte, und der auf die Entdeckung durch die Menschen wartete, würde nun früher geöffnet werden – ihretwegen, der Tür wegen, ihrer nächsten Schritte wegen, ihrer nächsten Worte und des Kindes wegen, dem sie begegnen würde. (Die Dichter erzählten später zwar die ganze Geschichte, aber sie erzählten sie im Nachhinein, als sie H’jeannes Schicksal bereits kannten und wussten, was Elaine getan hatte, um die Welten in Brand zu setzen. Die simple Wahrheit ist, dass eine einsame Frau eine geheimnisvolle Tür durchschritt. Das ist alles. Alles Übrige geschah später.)
Sie stand oben auf der Treppe, die Tür hinter ihr war geschlossen, das Gold des Sonnenuntergangs über der fremden Stadt breitete sich vor ihr aus. Sie konnte erkennen, wo sich die große Kuppel der Stadt Kalma in den Himmel wölbte; sie konnte erkennen, dass die Gebäude hier älter und weniger harmonisch waren als die, die sie hinter sich gelassen hatte. Der Begriff »malerisch« war ihr fremd, sonst hätte sie den Anblick damit bezeichnet; tatsächlich kannte sie keinen Begriff, um die Szene zu beschreiben, die friedlich zu ihren Füßen lag.
Es war kein Mensch zu sehen.
Weit entfernt pulsierte ein Feuerdetektor auf der Spitze eines alten Turms. Sonst gab es nichts als die goldgelbe Stadt vor ihr und einen Vogel – war es ein Vogel oder ein großes, vom Wind mitgerissenes Blatt? – zwischen Treppe und Turm.
Voller Furcht, Hoffnung, Erwartung und einer Ahnung seltsamen Verlangens schritt sie vorwärts, einem unbekannten Ziel
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