Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
dich. Er wartet schon so lange auf dich. Und dieses kleine Mädchen, das du getroffen hast – das war H’jeanne! Die Geschichte nimmt ihren Lauf. ›Das große Erdzeitalter hebt von Neuem an.‹ Und wenn es vorüber ist, kann ich sterben. Aber es tut mir so leid, meine Liebe, es tut mir so leid, wenn ich dich jetzt verwirrt habe. Ich bin Lady Panc Ashash, du bist Elaine. Deine ursprüngliche Nummer endet auf 783, eigentlich solltest du gar nicht auf diesem Planeten sein, denn hier enden alle wichtigen Leute auf 5 oder 6. Du bist eine Laientherapeutin, du bist hier ganz falsch, aber dein Liebhaber ist auf dem Weg hierher, und du warst doch noch nie verliebt, und ist das nicht alles furchtbar aufregend?«
Elaine blickte sich rasch um. Die untere Stadt wurde mit dem Fortschreiten des Sonnenuntergangs immer rötlicher und weniger golden. Die Treppen hinter ihr schienen schrecklich steil zu sein und die Tür hoch oben sehr klein. Vielleicht hatte sie sich ausgesperrt, nachdem sie sie geschlossen hatte; vielleicht würde sie nie mehr die alte untere Stadt verlassen können.
Das Fenster musste sie irgendwie beobachtet haben, denn die Stimme von Lady Panc Ashash wurde sanfter. »Setz dich, meine Liebe. Als ich noch ich war, war ich viel höflicher. Doch schon seit langer, langer Zeit bin ich nicht mehr ich. Ich bin eine Maschine und trotzdem fühle ich mich noch immer wie ich selbst. Setz dich und verzeih mir bitte.«
Elaine blickte sich um. Hinter ihr am Straßenrand stand eine Marmorbank. Folgsam nahm sie darauf Platz. Das Glücksgefühl, das sie oben auf der Treppe erfasst hatte, erfüllte sie von Neuem. Wenn diese weise alte Maschine so viel von ihr wusste, dann konnte sie ihr vielleicht auch sagen, was sie tun sollte. Was meinte die Stimme mit dem »falschen Planeten«? Mit dem »Geliebten«? Damit, dass »er nun zu ihr kommen werde« – oder wie sich die Maschine auch immer ausgedrückt hatte?
»Komm zu Atem, meine Liebe«, sagte die Stimme von Lady Panc Ashash. Sie mochte vielleicht seit Hunderten oder Tausenden von Jahren tot sein, aber sie sprach noch immer mit der Autorität und der Freundlichkeit einer großen Lady.
Elaine atmete tief durch. Sie sah eine große rote Wolke, einem fetten Wal ähnlich, hoch über ihr in Richtung Meer davontreiben. Sie fragte sich, ob auch Wolken Gefühle besaßen.
Die Stimme hatte wieder etwas gesagt. Aber was? Offenbar wurde die Frage wiederholt: »Hast du gewusst, dass du hierherkommen würdest?«, fragte die Stimme aus dem Fenster.
»Natürlich nicht.« Elaine zuckte mit den Achseln. »Da war nur diese Tür, und ich hatte nichts Besonderes vor, also öffnete ich sie. Und hier war eine ganz neue Welt im Innern eines Hauses. Es sah sonderbar und recht hübsch aus, also stieg ich die Stufen hinunter. Hättest du das nicht auch getan?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte die Stimme ehrlich. »Ich bin eine Maschine. Ich war seit langer, langer Zeit nicht mehr ich selbst. Vielleicht hätte ich es getan, damals, als ich noch am Leben war. Ich weiß es nicht, aber ich weiß dafür andere Dinge. Vielleicht kann ich die Zukunft sehen, oder vielleicht errechnet mein maschineller Teil so genaue Wahrscheinlichkeiten, dass es mir so scheint. Ich weiß, wer du bist und was mit dir geschehen wird … Du hättest dir lieber dein Haar kämmen sollen.«
»Wofür denn?«
»Weil er kommt.«
» Wer kommt?«
»Hast du einen Spiegel? Ich wünschte, du würdest dir einmal dein Haar ansehen. Nicht dass es nicht schön wäre, aber es könnte schöner sein. Du willst doch sicher so schön wie möglich sein. Natürlich ist es dein Geliebter, der kommt.«
»Ich habe keinen Geliebten«, widersprach Elaine. »Ich habe auch noch keine Erlaubnis dafür bekommen, erst muss ich einen Teil meines Lebenswerks vollbracht haben, und ich habe mein Lebenswerk bis jetzt noch nicht einmal begonnen. Ich bin nicht eins von den Mädchen, die einen Subleiter um die Träumlein bitten, vor allem dann nicht, wenn ich noch nicht die Berechtigung für das echte Erlebnis bekommen habe. Ich bin vielleicht keine wichtige Persönlichkeit, aber ich besitze so etwas wie Selbstachtung.« Elaine war so wütend geworden, dass sie sich auf der Bank umdrehte, ihr Gesicht von dem alles sehenden Fenster abwandte.
Die nächsten Worte ließen Gänsehaut über ihre Arme laufen, mit solch tiefem Ernst, solch mitreißender Eindringlichkeit wurden sie gesprochen. »Elaine, Elaine, weißt du denn wirklich nicht, wer du
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