Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
die ohne Unterlass den Untermenschen von einer Gerechtigkeit zuflüsterte, die erst noch kommen würde. Wir kennen das ganze Leben der unglücklichen Elaine und ihre Verwicklung in diesen Fall. Wir wissen, dass es in diesen Jahrhunderten, als die Untermenschen anfingen, sich weiterzuentwickeln, viele Verstecke gab, in denen illegale Untermenschen ihren nahezu menschlichen Verstand, ihre tierische Schläue und ihre Sprachgewandtheit zum Überleben benutzten, auch wenn die Menschheit sie für überflüssig erklärt hatte; der braune und gelbe Tunnelgang war keinesfalls der einzige seiner Art. Und wir wissen sogar, was aus dem Jäger wurde.
Auskunft über die anderen Untermenschen – Charley-mein-Liebling, Baby-Baby, Mabel, die S-Frau, Orson und all die anderen – geben uns die Bildaufzeichnungen des Prozesses. Sie wurden von niemandem verhört. Sie wurden sofort von den Soldaten exekutiert, als sich herausgestellt hatte, dass ihre Aussagen nicht benötigt wurden. Als Zeugen hätten sie noch einige Minuten oder Stunden länger leben können; als Tiere standen sie außerhalb der Gesetze.
Ja, jetzt sind wir über alles unterrichtet, und trotzdem wissen wir nichts. Sterben ist einfach, obwohl wir dazu neigen, darüber zu schweigen. Das Wie des Sterbens ist von geringer wissenschaftlicher Wichtigkeit; das Wann ist für jeden von uns ein Problem, ob man nun auf einem altmodischen Planeten mit einer vierhundertjährigen Lebensspanne oder auf einem der radikal neuen lebt, wo Krankheiten und Unfälle wieder eingeführt worden sind; das Warum ist für uns noch immer so erschreckend wie für die prä-atomaren Menschen, die ihre Äcker dazu verwandten, die Körper der Toten in Holzkisten verpackt dort einzugraben. Diese Untermenschen starben, wie Tiere noch nie zuvor gestorben waren. Mit Freude.
Eine Mutter hielt ihr Kind dem Soldaten entgegen, damit er es töten konnte. Sie musste von Ratten abstammen, denn sie hatte Siebenlinge, die einander sehr ähnlich waren.
Die Aufnahme zeigt uns, wie sich der Soldat vorbereitet.
Die Rattenfrau begrüßt ihn mit einem Lächeln und hält ihm ihre sieben Babys hin. Es sind kleine Blondschöpfe, und alle tragen rosa oder blaue Häubchen, und alle haben rote Bäckchen und glänzende kleine Augen.
»Leg sie auf den Boden«, sagt der Soldat. »Ich werde zuerst dich und anschließend sie töten.« Auf dem Band ist der nervöse, anmaßende Unterton in seiner Stimme deutlich zu hören. Er fügt ein Wort hinzu, als ob er zu glauben beginnt, dass er sich vor diesen Untermenschen zu rechtfertigen hat. »Befehl«, erklärt er.
»Es macht mir nichts aus, wenn ich sie halte, Soldat«, erwidert die Rattenfrau. »Ich bin ihre Mutter. Es wird besser für sie sein, wenn sie bei ihrer Mutter sind, wenn sie sterben. Ich liebe dich, Soldat. Ich liebe alle Menschen. Du bist mein Bruder, auch wenn mein Blut Rattenblut und deines Menschenblut ist. Verlier keine Zeit und töte sie, Soldat. Ich kann dich nicht daran hindern. Verstehst du denn nicht? Ich liebe dich, Soldat. Wir teilen eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Hoffnungen, gemeinsame Ängste und denselben Tod. Das ist es, was Jeanne uns gelehrt hat. Der Tod ist nicht schlecht, Soldat. Er kommt nur manchmal zur Unzeit, aber du wirst dich an mich erinnern, nachdem du mich und meine Babys getötet hast. Und du wirst dich an meine Liebe erinnern …«
Der Soldat, wir erkennen es auf dem Band, kann es nicht mehr länger ertragen. Er schwingt seine Waffe und schlägt die Frau nieder; die Babys fallen zu Boden. Wir sehen, wie sein Stiefelabsatz sich hebt und dann ihre Köpfe zermalmt. Wir hören das nasse platzende Geräusch, mit dem die kleinen Köpfe zerbrechen, wir hören, wie das Gewimmer der Babys abrupt aufhört. Ein letztes Mal gerät die Rattenfrau ins Bild. Als das siebte Baby stirbt, kommt sie wieder auf die Beine. Sie bietet dem Soldaten ihre Hand. Ihr Gesicht ist schmutzig und geschwollen, ein Blutfaden rinnt über ihre linke Wange. Selbst jetzt, da wir wissen, dass sie eine Ratte, ein Untermensch, ein modifiziertes Tier, ein Nichts ist, selbst jetzt, Jahrhunderte später, spüren wir, dass sie irgendwie menschlicher war, als wir es sind – dass sie Erfüllung gefunden hat und wie ein Mensch stirbt. Wir wissen, dass sie über den Tod triumphiert hat; wir haben das nicht.
Wir sehen, wie der Soldat sie in unheimlichem Entsetzen anstarrt, als ob ihre Liebe ein undurchdringlicher Schutz ist, gespeist aus einer fremden Quelle.
Auf dem Band
Weitere Kostenlose Bücher