Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
Stimme des Mädchens rief ihn in die Gegenwart zurück. »Ich habe die Antwort auf Ihr Problem, Casher«, sagte sie, »wenn Sie mir nur zuhören würden. Ich bin die Hechizera von Gonfalon, zumindest in dem Maße, wie eine Person einer anderen aufgeprägt werden kann.«
Voll Erstaunen wandte er sich ihr zu. »Du meinst, dass du, Kind, wirklich die Persönlichkeit dieser Frau Agatha Madigan aufgeprägt bekommen hast? Wirklich aufgeprägt?«
»Ich besitze all ihre Fähigkeiten, Casher, und einige dazu, die ich selbst erworben habe.«
»Aber ich dachte, es sei nur eine Geschichte … Nun, wenn du diese schreckliche Frau von Gonfalon wirklich bist, dann brauchst du mich nicht. Ich gehe. Sofort.« Casher näherte sich der Tür. Angeekelt, am Ende, fertig. Sie mochte zwar nur ein Kind sein, aber wenn sie aus dieser schrecklichen alten Geschichte stammte, brauchte sie ihn wirklich nicht.
»O nein, das werden Sie nicht«, sagte sie.
IX
Plötzlich schob sich S’ruth zwischen Casher und die Tür und versperrte ihm den Weg.
In ihrer Hand lag das Bild des Mannes an dem Holzkreuz.
Normalerweise hätte Casher keine Lady zur Seite gestoßen. Aber seine Eile war so groß, dass er es jetzt tat. Als er sie berührte, fühlte sie sich an wie tief im Boden verankerter Stahl; weder ihr Kleid noch ihr Körper bewegten sich auch nur um einen Tausendstel Millimeter unter dem Druck seiner starken Hand.
»Und was jetzt?«, fragte sie freundlich.
Er blickte sich um und sah die wirkliche S’ruth, die lächelnde Mädchenfrau, die noch immer zart und sehr wirklich am Fenster stand.
Tief in seinem Innern begann er aufzugeben; er hatte von Hypnotiseuren gehört, die projizieren konnten, aber er hatte noch nie einen getroffen, der so stark war wie sie.
Sie tat es. Wie machte sie es? Es konnte auf unbewussten Abläufen beruhen. Es gab vielleicht einige Künste, die sie aus ihrer Tiervergangenheit gerettet hatte und die selbst ihr neuer gebildeter Verstand nicht erklären konnte. Handlungen, die zu subtil waren, zu fundamental, um analysiert zu werden. Oder Fähigkeiten, die sie benutzte, ohne sie zu verstehen.
»Ich projiziere«, sagte sie.
»Das sehe ich«, sagte er finster und leise.
»Ich psychokinetisiere«, sagte sie.
Sein Messer glitt aus seinem Stiefelschaft und schwebte vor ihm in der Luft.
Instinktiv griff er danach. Es wand sich ein wenig in seinem Griff, aber die Kraft, die auf das Messer einwirkte, war nicht stärker als die eines großen Magneten.
»Ich blende«, sagte sie.
Mit einem Mal war der Raum für ihn in vollständige Finsternis getaucht.
»Ich verstehe.« Er schlich leise auf sie zu wie ein wildes Tier, folgte seiner Erinnerung an den Raum und dem sehr leisen Geräusch ihrer Atemzüge. Er hatte festgestellt, dass ihr Simulacrum, das die Tür versperrte, keinen Laut von sich gab, nicht einmal atmete.
Er wusste, dass er in ihrer Nähe war. Seine Fingerspitzen tasteten nach ihrer Schulter oder ihrer Kehle. Er wollte sie nicht verletzen, wollte ihr lediglich zeigen, dass zwei bei diesen Tricks mitspielen konnten.
»Ich manipuliere«, sagte sie, und ihre Stimme drang aus allen Richtungen. Sie hallte von der Decke, kam von allen fünf Wänden des altertümlichen seltsamen Raumes, von den offenen Fenstern, von beiden Türen.
Casher hatte das Gefühl, als wenn man ihn in den Weltraum gestoßen hätte und er sich langsam in der Schwerelosigkeit drehte. Er versuchte die Kontrolle über sich zurückzugewinnen, den einen wahren Ton unter den vielen falschen Stimmen herauszuhören, das Mädchen auf irgendeine Weise zu überrumpeln.
»Ich lasse Sie sich erinnern«, sagten ihre zahllosen hallenden Stimmen.
Für einen Augenblick konnte er sich nicht vorstellen, wie dies eine Waffe sein konnte, selbst wenn das Schildkrötenmädchen all die boshaften Ränke der Hechizera von Gonfalon erlernt hatte.
Aber dann wusste er es.
Er sah wieder seinen Onkel Kuraf. Er sah sein altes Zimmer. Dort war Kuraf. Der alte Mann war bemitleidenswert, hasserfüllt, betrunken, schrecklich; das Mädchen auf Kurafs Schoß lachte ihn an, ihn, Casher O’Neill, und sie lachte auch Kuraf an. Casher hatte einst als Jugendlicher leidenschaftliches Interesse an Sex gehabt und zur gleichen Zeit die schreckliche Furcht eines Jugendlichen vor all den unbekannten, undurchsichtigen Bedeutungen der Mann-Frau-Beziehung. Der derzeitige Casher erinnerte sich an den damaligen Casher, und als er sich in dem Netz von S’ruths hypnotischen Kräften befand,
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