Was bin ich wert
Verpflegung und Betreuung in der Haftzeit abgezogen werden. Wenn ein verlorener Tag in Freiheit mit 25 Euro berechnet wird, was ist dann ein Leben in Freiheit wert?
Ein heute geborener Junge hat eine statistische Lebenserwartung von gut 77 Jahren. Bei einem Mädchen sind es gut 82 Jahre. Demnach wäre die Freiheit eines männlichen Lebens einschließlich der Schaltjahre etwa 703 125 Euro und die eines weiblichen Lebens etwa 748 750 Euro wert.
Ein Tourist, der vor Gericht erfolgreich für die Entschädigung »entgangener Urlaubsfreude« klagt, bekommt mindestens 50 Euro pro Tag zugesprochen. Mein ganzes Leben im Sinne eines verpatzten Urlaubs wäre demnach 1 406 250 Euro wert.
12.
Was andere zynisch finden, hält er für ein Gebot der Vernunft.
Der Volkswirt Hannes Spengler
Pressekonferenz in der Schumpeter Hall des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ( DIW ) in der Berliner Mohrenstraße. Der 1950 verstorbene Ökonom Joseph Alois Schumpeter prägte den Begriff der »schöpferischen Zerstörung« durch Wettbewerb. Mitten im Raum vier Stuhlreihen mit etwa einem Dutzend Journalisten. Ein Vormittagstermin. Einige trinken hier den ersten Kaffee des Tages, sie scheinen ihn zu brauchen.
Titel der Veranstaltung: »Wirken hohe Haftstrafen gegen Kriminalität? Ökonomen analysieren erstmals deutsche Strafverfolgung«. Eigentlich geht es aber nur um einen einzigen Ökonomen, nämlich Hannes Spengler, den Mann, der den statistischen Wert eines Lebens in Deutschland ausgerechnet hat. Seit unserem Telefonat ist zu seinem Doktor- auch noch ein Professorentitel gekommen.
Moderiert wird das ganze von einem Mitarbeiter des DIW mit schneidigem Auftreten und blasiertem Blick. Daneben wirkt der eher jungenhafte Spengler ausgesprochen sympathisch. Er trägt einen dunkelbraunen Anzug, ein beiges Hemd, eine beige, glänzende Krawatte und braune Lederschuhe.
Spengler zieht eine Art ökonomische Wirkungsbilanz der Großen Strafrechtsreform von 1969. Dabei vergleicht er unter anderem die Schäden von Eigentums- und Gewaltdelikten. Den Gesamtschaden von jährlich etwa 2400 Todesopfern (Mord und Totschlag) beziffert er mit 2,5 bis 5,7 Milliarden Euro für das Jahr 2004. Für die Einbußen durch Diebstahl zitiert er das Bundeskriminalamt mit einer Summe von 2,4 Milliarden Euro. Überhaupt gibt es in seiner Powerpoint-Präsentation sehr viele Zahlen, sehr viele Diagramme, aber nur wenig Einblick in die Methoden und Hintergründe seiner Kosten-Nutzen-Rechnungen. Daß er mit »seinem« nicht unumstrittenen Wert eines statistischen Lebens rechnet, wird weder näher ausgeführt noch von den Anwesenden hinterfragt.
Manchmal verwechselt Spengler Millionen mit Milliarden, um sich sogleich für den Versprecher zu entschuldigen. Keiner nimmt es ihm übel. Sind ja auch eine Menge Nullen. Er spricht von »vielen Einflüssen«, von Statistiken, die er uns ersparen wolle, und davon, daß »ein Empiriker manchmal auch Entscheidungen treffen muß«, was eher mehr nach Subjektivität als nach Objektivität klingt. Ich muß an meinen geschätzten Lehrer im Geschichte-Leistungskurs denken, der mal sagte: »Statistik ist wie eine Hure, mit der kann man alles machen.« Das führte damals zu einer recht peinlichen Stille im Unterricht und zu einem lebenslangen Mißtrauen gegenüber Beweisen mit Zahlenkolonnen.
Die Arbeit der Kriminologen betrachtet Spengler »skeptisch«, Juristen und Sozialwissenschaftler gingen »in die falsche Richtung«, da sie mit »Ideologien, aber nicht mit harten Fakten arbeiten«. Und wer arbeitet mit den harten Fakten? Klar: die Ökonomen, denn vor allem die seien »prädestiniert, mehrdimensionale Zusammenhänge zu verstehen«. Sozialwissenschaftler, die da vielleicht gern widersprechen würden, sind heute nicht eingeladen.
Auf die wenigen kritischen Nachfragen hin fallen seine Formulierungen vorsichtiger aus. Dann ist Schluß, ich passe ihn am Ausgang ab, stelle mich vor, erinnere ihn an unsere Verabredung, und wir suchen uns eine ruhige Ecke in einem großen Konferenzraum.
– Was bin ich wert?
– Schwer zu sagen. Die klassische Möglichkeit ist der Produktivitätsansatz. Das, was Sie verdienen. Aber das wird schnell zynisch. Auf der einen Seite der erfolgreiche, millionenschwere Manager, auf der anderen ein Arbeitsloser. Für mich wäre es frustrierend zu sagen, mein Leben ist das wert, was ich noch an der Fachhochschule verdienen werde. Da kommt nicht viel raus. Und das soll dann mein Wert
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