Was bin ich wert
für jedes unterhaltspflichtige Kind. Auch die Schwere der Verletzungen wurde berücksichtigt. Für einen gebrochenen Finger gab es 500 Dollar, eine Frau, die mit großflächigen Verbrennungen dritten Grades überlebte, bekam 8,5 Millionen. Die Familien der Todesopfer wurden mit durchschnittlich 2,1 Millionen entschädigt. 250 000 Dollar waren das Minimum, 7,1 Millionen das Maximum.
Auf ein Honorar verzichtete Feinberg. Seine schwierigen Erfahrungen beschrieb er später in dem Buch What is Life Worth? Mehr als 1000 Opferfamilien traf er persönlich, sprach mit verwitweten Ehepartnern und verwaisten Kindern in der Regel 30 Minuten über ihre Leiden und ihre Ansprüche. So verrechnete er 33 Monate lang Leben gegen Geld. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigungssummen gab es viele Klagen über Feinberg und viel Streit unter den Familien der Opfer. Die einen fühlten sich übervorteilt, andere sahen den Heldenmut ihrer Angehörigen – insbesondere der getöteten Feuerwehrleute und Polizisten – finanziell nicht ausreichend gewürdigt. Als die Witwe eines Feuerwehrmannes über die wesentlich höhere Entschädigung der Witwe eines Bankers klagte und vorwurfsvoll fragte, wie so etwas möglich sei, antwortete Feinberg: Weil Amerika so funktioniert!
Sieben Familien, schreibt er frustriert, waren nicht gewillt oder emotional in der Lage, eine Entschädigung zu beantragen, bevor die Anspruchsfrist unwiderruflich ablief. Am Ende meinte der »Special Master«, man solle einen solchen Entschädigungsfond besser nicht noch einmal einrichten. Und wenn doch, dann sollte nicht mehr einer allein entscheiden, und alle sollten dasselbe bekommen.
Ich möchte von Feinberg gern wissen, was er heute über den Wert des Lebens denkt. Ich schreibe ihm eine E-Mail. Da Präsident Obama ihn aber gerade damit beauftragt hat, die Managergehälter der Firmen festzulegen, die von der Regierung »außerordentliche« Staatshilfen erhalten haben, dauert es ein bißchen mit der Antwort.
Leider ist sie ein bißchen vage. Eine Zahl schickt er nicht mit.
»Was ein Leben wert ist, hängt meiner Meinung nach entscheidend von den Umständen und dem kulturellem Zusammenhang ab. Wenn Sie mich aber im Kontext unseres Rechtssystems fragen, hängt der Wert vom wirtschaftlichen Verlust ab, der durch den Tod des Opfers entsteht. Dazu kommt dann noch eine Summe für den Schmerz und das Leid. In den USA kommt man da oft auf Summen von über einer Million US -Dollar. Einige Kulturen definieren den Wert möglicherweise nicht in Geldgrößen. Da reicht vielleicht eine Entschuldigung, das Angebot, umsonst zu arbeiten oder andere Formen der Entschädigung. Es steht nicht geschrieben, daß sich Wert nur in Geld ausdrücken läßt. Es gibt auch andere spirituelle oder soziale Möglichkeiten, um Wert zu definieren. Das ist eine Frage der Gesellschaft, zu der das Opfer gehört.«
Dann verweist er mich noch an das Feinberg Institute for Valuing Human Life der Universität von Massachusetts in Amherst, das sich speziell auf dieses Thema konzentriert. Aber auch von dem Institut zur »Bewertung menschlichen Lebens« bekomme ich keine Antwort, die mir weiterhilft.
16.
Vor 40 Jahren war er genau 40 000 DM wert. Heute schätzt er sich auf zwei bis drei Millionen Euro. Der Anatom Gunther von Hagens
Die Körperwelten-Ausstellung gastiert in Berlin. Dabei handelt es sich um plastinierte Leichen, die man sich angucken kann, wenn man dafür bezahlt. Das hat dem Erfinder der Plastinationsmethode, dem Ausstellungsmacher Gunther von Hagens, nach eigenen Angaben weltweit nicht nur mehr als 26 Millionen Besucher, sondern auch den Beinamen »Dr. Tod« eingebracht. Dieser Mann, denke ich, könnte wissen, was ein Leben wert ist. Ich bemühe mich um einen Termin, erkläre mein Anliegen. Er ist einverstanden.
Wir treffen uns am Tag nach der Ausstellungseröffnung im Berliner Postbahnhof. Rechts geht es zu den Körperwelten, links hinter die Kulissen. In einem improvisierten Organisationsbüro steht der 64jährige von Hagens im Kreis einiger Mitarbeiter. Er sieht aus wie Joseph Beuys. Dunkler, breitkrempiger Hut, Strickjacke, darüber eine Lederweste mit vielen Taschen. Hinter einer Stellwand finden wir einen Tisch und zwei Stühle. Ich habe eine Stunde, um mit ihm zu reden. Da komme ich lieber gleich aufs Wesentliche, das heißt auf meine Universalfrage:
– Was ist ein Mensch wert?
Von Hagens lehnt sich zurück, überlegt.
– Das hängt ab von seiner Stellung
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