Was bin ich wert
-Regierung sehr bald, einen Entschädigungsfonds für die Opfer mit insgesamt sieben Milliarden Dollar einzurichten. Dabei ging es nicht um Barmherzigkeit, sondern um politisches Kalkül, genauer gesagt: um die grundsätzliche Aufrechterhaltung des gesamten Luftverkehrs. Der finanzielle Schaden, der auf die betroffenen Flughafenbehörden, Fluggesellschaften und damit die Versicherungswirtschaft zukam, wurde auf bis zu 80 Milliarden Dollar geschätzt. Die Airlines waren allerdings nur mit einer Höchstsumme von 1,5 Milliarden Dollar versichert. Ihnen sowie den entsprechenden Unternehmen aus der Versicherungs- sowie Rückversicherungswirtschaft drohte der sichere Kollaps. Hinzu kam, daß sofort nach dem Terrorangriff weltweit allen Fluggesellschaften die Haftpflichtversicherungen gekündigt wurden. Als Rechtsgrundlage diente eine in allen Verträgen enthaltene Klausel zu unabsehbaren Haftungsrisiken aufgrund von Kriegseinwirkungen beziehungsweise Terrorangriffen. Die Frist bis zur Wirksamkeit der Kündigung betrug sieben Tage. Dann wäre der weltweite Flugverkehr zum Erliegen gekommen. Kein Vorstand einer Fluggesellschaft hätte es verantworten können, seine Maschinen unversichert starten zu lassen.
Wer eine Entschädigung aus dem staatlichen Fond beantragte, mußte vorab auf alle Schadenersatzansprüche gegen die Fluggesellschaften, die Stadt New York, das Pentagon und sogar al-Qaida verzichten. 97 Prozent der Opferfamilien stimmten zu, nicht zuletzt weil sie langjährige Rechtsstreitigkeiten mit am Ende möglicherweise zahlungsunfähigen Fluggesellschaften vermeiden wollten.
Mit der Verteilung des Geldes beauftragte das Justizministerium einen einzelnen Mann: Kenneth R. Feinberg. Der damals 56jährige Anwalt aus Washington hatte sich zuvor als Schlichter in verschiedenen Massenentschädigungsverfahren bewährt, etwa im Prozeß um das Pflanzenvernichtungsmittel Agent Orange, das in Vietnam auch etlichen US -Soldaten bleibende Gesundheitsschäden zugefügt hatte.
Feinberg stellte als »Special Master« die genauen Regeln auf, nach denen die Opfer beziehungsweise ihre Angehörigen entschädigt werden sollten. Der Kongreß hatte lediglich verfügt, daß sich die Höhe der Zahlungen am Einkommen der Opfer orientieren sollte. Insgesamt mußten sowohl die materiellen als auch die moralischen Schäden berechnet werden. Erstere beziehen sich nach amerikanischem Recht auf alle für die Zukunft verlorenen Einnahmen des Opfers abzüglich der darauf entfallenden Steuern. Die Ausgangsfrage lautete demnach bei jedem einzelnen Toten: »Wieviel hätte das Opfer in seinem Berufsleben noch verdient?« Allerdings bestimmte Feinberg ein Einkommenslimit von 231 000 Dollar im Jahr. Was darüber lag, wurde nicht berücksichtigt, was vor allem die Hinterbliebenen einiger Investmentbanker, die mehr verdient hatten, verbitterte. Der Ausgleich der moralischen Schäden – der Verlust durch den Tod »für Familie und Gesellschaft« – entspricht in etwa dem Schmerzensgeld im deutschen Recht. In den USA sind diesbezüglich Ersatzansprüche von mehreren Millionen Dollar keine Seltenheit. Im Fall zweier Privatpiloten, die ums Leben kamen, als ihre Maschine bei der Suche nach Flüchtlingen über der karibischen See von der kubanischen Luftwaffe abgeschossen wurde, soll ein Schmerzensgeld von jeweils 80 Millionen Dollar festgelegt worden sein. Noch darüber liegen die 112 Millionen Dollar für Schmerzensgeld und Versorgungsansprüche, die ein New Yorker Gericht 2004 dem Ehepaar Elizabeth und John Reden zusprach, deren Tochter aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers einen schweren Hirnschaden erlitt. Im Gegensatz dazu sind nach deutschem Recht die wirtschaftlichen Schäden beim Verlust eines nahen Angehörigen in der Regel auf Beerdigungskostensowie den entgangenen Unterhalt für Ehegatten und Kinder bis zum Ende von deren Ausbildung beschränkt.
Nachdem bei dem ICE -Unglück in Eschede im Sommer 1998 101 Menschen ums Leben gekommen waren, zahlte die Bahn ein Angehörigenschmerzensgeld von je 30 000 D -Mark, das ausdrücklich als »freiwillige Leistung« deklariert wurde. Dazu kamen Entschädigungen für Heilbehandlungen (drei Millionen Euro), Schmerzensgelder für die Überlebenden (vier Millionen Euro), Unterhaltsansprüche sowie Erwerbs-, Unterhalts- und Sachschäden (rund 20 Millionen Euro). Feinberg zahlte für jeden Toten letztlich als Basissumme 250 000 Dollar, dazu 100 000 Dollar für einen Ehegatten und die gleiche Summe
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