Was bin ich wert
in der Gesellschaft. Ein verurteilter Mörder etwa muß verwahrt und gepflegt werden, ist dazu noch ein Sicherheitsrisiko, alles in allem also eine kostspielige Angelegenheit. Aber ein Erfinder zum Beispiel, der einen Betrieb hochzieht, kann je nachdem, was er volkswirtschaftlich auf die Beine stellt, auch im Alter ein paar Millionen Euro wert sein.
Meint er etwa sich selbst? Ja.
– Wie ich zum Beispiel in Guben mit dem Plastinarium, wodie Leichen präpariert werden. Was ich da an Arbeitsplätzen geschaffen habe! Ich allein spare oder bringe dem Staat im Monat 300 000 Euro.
Ich war davon ausgegangen, mit meiner Grundsatzfrage auf einen philosophierenden Anatomen zu treffen. Statt dessen sitze ich einem klassischen Unternehmer gegenüber. Auch gut. Nehme ich eben den und folge seiner Logik. Zumindest versuche ich es.
– Dann sind Sie mehr wert als ein Hartz- IV -Empfänger?
– Jede Gesellschaft ist so stark, wie die Zahl derjenigen, die abstrakte Arbeit in reale Arbeit umwandeln können. Ich bin stolz und glücklich darauf, daß ich Arbeitsplätze schaffe und die Volkswirtschaft ankurble.
Er weicht aus. Zweiter Versuch.
– Sind Sie mehr wert als jemand, der dem Staat auf der Tasche liegt?
– Ich schaffe das Geld ran für Leute, die zum Beispiel Autos kaufen. Wenn ich morgens in meinen Betrieb komme, sehe ich auf dem Parkplatz 30 bis 40 Autos. Die sind von meinem Geld bezahlt, das heißt von dem Geld, das ich den Leuten für die Leistungen gebe, die sie für mich erbringen.
Er ist offensichtlich von seinem Wert überzeugt. Schön für ihn. Jeder Mensch, meint er, sollte seinen Wert für sich selbst reflektieren, um sich seiner Stellung bewußt zu werden. Die Maßeinheit »Geld« sei dabei sehr sinnvoll, weil sie auch von den »jungen Leuten« verstanden würde. Das führe letztlich zu verantwortungsbewußtem Handeln, »weniger Faulenzerei« und im Zweifelsfall auch zu den nötigen Schuldgefühlen. Wenn von Hagens das mit dem Berechnen so gut findet, dann hätte ich auch gern eine Zahl.
– Für mich persönlich ist das einfach. Es geht um die Frage, was mein Betrieb für meine Funktion zahlen müßte. Ich bin ja ein Multifunktionsmensch. Anatom, Betriebsorganisator, Pressemann. Ich muß viel reisen. Da komme ich leicht auf einen Stundenlohn von 300 Euro. Da frage ich mich auch, wenn ich jemandem Zeit spende: Was hat der davon, was habe ich davon? Das ist interessant.
Tatsächlich, das ist interessant. Wenn von Hagens mir Gesprächszeit spendet, die 300 Euro wert ist, steigt dann mein Wert um diese Summe? Oder wird das Buch, an dem ich arbeite, entsprechend mehr wert sein? Oder ist der Leser, der ja vom Wert dieser gespendeten Zeit, oder genauer: der gespendeten Erkenntnisse, profitieren könnte, am Ende vielleicht auch mehr wert? Die entsprechende Rechenformel, vermute ich, müßte wohl noch erfunden werden. Oder auch nicht.
Aber was ist meine Zeit wert? Nach von Hagens Rechnung wohl keine 300 Euro die Stunde. Ich bin kein Betriebsleiter etc. etc. sondern ein freiberuflich arbeitender Journalist, der bisher noch keinen einzigen Arbeitsplatz geschaffen hat. Für von Hagens habe ich aber wohl einen Wert, weil ich ihn aufgrund meiner Funktion eventuell noch ein ganz klein wenig bekannter machen könnte. So gesehen kann die Stunde Zeit, könnten die 300 Euro, die von Hagens gerade bei mir anlegt, eine gute Investition sein, die möglicherweise seinen persönlichen Wert – so wie er ihn sieht – steigert. Ich habe den Eindruck, wir machen hier gerade alle ein gutes Geschäft. Doch zurück zum Thema.
– Wieviel sind Sie denn nun wert?
– Hab ich schon mal ausgerechnet in bezug auf meinen Betrieb. Wenn man will, kann man das plus minus 1000 Euro ausrechnen. Es geht natürlich auch darum, wie lange ich noch arbeiten kann. Ich bin 64. Mein Vater war bis zu seinem 85. Lebensjahr berufstätig.
Er lehnt sich zurück, denkt nach, murmelt ein paar Zahlen, dann:
– Ich bin so zwei bis drei Millionen Euro wert.
Nun, zwei bis drei Millionen ist etwas anderes als »plus minus 1000«, aber die Gesprächszeit ist schon halb rum, und ich will jetzt keine langwierigen Taschenrechneroperationen. Ich habe auch das Gefühl, das der sonst sehr auskunftsfreudige von Hagens keine allzu tiefen Einblicke in seine geschäftlichen Kalkulationen gewähren möchte. Ist ja auch keine Betriebsprüfung. Eine unpräparierte Leiche, sagt er, ist etwa 2000 Euro wert. Soviel kosten Transport,
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