Was bin ich wert
Telefon hat meine Mail gelesen und will mir ein paar Fragen stellen. Meine Antworten kommen in die Datenbank ihres Instituts, eines privatwirtschaftlichen Unternehmens. Später will sie dann nach einer passenden Studie für mich schauen beziehungsweise nach einer Studie, in die ich reinpasse. Ich bin einverstanden.
Es sind viele Fragen. Ob ich Asthma habe, ob ich bösartige Geschwulste habe, ob ich regelmäßig Medikamente nehme, ob ich Vegetarier bin, ob ich Rechtshänder bin, ob ich eine Arbeitsstelle habe, ob ich aus Mitteleuropa stamme und vieles mehr. Am Ende des Fragemarathons bedankt sie sich und will sich verabschieden. Doch ich habe auch noch eine Frage. Das Geld? Wieviel kann man verdienen? Sie lächelt durchs Telefon, sagt, das sei ein wichtiger Punkt, das Honorar richte sich nach dem Aufwand für den stationären Aufenthalt. Danke und Tschüß.
Auf der Homepage des Instituts finde ich Informationen zu den aktuell anstehenden Medikamententests. Details der Untersuchungen fehlen, dafür wird aber schon mal mit dem Honorar gelockt. So werden »Frauen und Männer bis 65 Jahre mit Leberinsuffizienz« gesucht – 1485 Euro; »Frauen und Männer ab 18 Jahre, die sehr starken Befall von Schuppenflechte sowohl im Gesicht als auch in den Hautfalten haben«– 1700 Euro, Frauen und Männer »ohne Gallenblase« – 3363 Euro.
Zwei Wochen später bekomme ich den nächsten Anruf und ein Angebot. Es geht um ein Mittel gegen Rheuma, eine Spritze, die ich bekommen soll, neun Tage Klinikaufenthalt und sieben weitere ambulante Untersuchungen im Zwei-Wochen-Rhythmus. Für all das gibt es 2680 Euro. Allerdings müssen alle meine Werte (in diesem Fall Blut-, Leber-, Urin-, EKG-Werte etc.) »normal« sein. Wenn mich das interessiere, solle ich zwei Tage später zu einer Informationsveranstaltung kommen. Einverstanden.
Ein Kellerraum in einem Gebäude des Instituts für Arzneimittelforschung, das sich wiederum auf dem Gelände eines großen Klinikums des Roten Kreuzes befindet. Neonlicht, Boden, Wände und Decke in grauweiß, an der Wand steht ein Wasserspender. Auf einfachen, dichtgedrängten Stühlen mit integrierter Schreibunterlage warte ich mit einem guten Dutzend Männer auf den Beginn der Informationsveranstaltung. Die anderen potentiellen Probanden – so die offizielle Bezeichnung – sind zwischen Anfang Zwanzig und Ende Vierzig. Einer hat seine kleine Tochter mitgebracht. Die findet die Veranstaltung nicht so spannend. Die Hälfte der versammelten Interessenten – so verrät es eine kleine Umfrage – ist wie ich das erste Mal bei so einem Treffen.
Alle haben einen Stapel Informationsblätter und eine Reihe Formulare bekommen. Wir sollen hier unterscheiben, da unterschreiben und dort auch noch. Unter anderem die Einwilligung, alle Anordnungen einhalten zu wollen. Allerdings kann man »diese Einwilligung jederzeit ohne Angaben von Gründen zurücknehmen«. Nun denn.
Mein Gefühl ist eindeutig, und es ist unangenehm. Ich sitze hier vor allem als Körper. Dem gilt das Interesse. Die Frage ist, ob ich diesen meinen Körper der Forschung anbieten beziehungsweise verkaufen beziehungsweise vermieten will. Doch der Gedanke, daß es hier um einen Dienst an der Wissenschaft gehen könnte, kommt bei mir nicht an.
Neben der Tafel steht jetzt eine blonde junge Ärztin, die einer Krankenhausserie oder einem Arztroman entsprungen sein könnte. Sie sagt, sie habe Verständnis, wenn jemand nicht mitmachen wolle – »es ist ja Ihre Gesundheit«. Tatsächlich verkaufe ich hier wohl eher meine Gesundheit als meinen Körper, beziehungsweise ich lasse mich dafür bezahlen, meine Gesundheit zu riskieren. Natürlich auch die Zeit, die das alles kostet.
Die Ärztin erklärt dann, worum es geht. Eine Erstanwendungsstudie, das heißt, das Medikament, das wir bekommen sollen, wurde bisher nur an Tieren, aber nie an Menschen ausprobiert. Sie sind noch am Anfang der Forschung. Die Dosis wird in den einzelnen Phasen bei jeweils neuen Probanden gesteigert. Die Frage lautet: »Welche Maximalkonzentration ist noch verträglich?« Sie wissen nicht, ob es »Nachteile bei Menschen« gibt. Sie wissen aber, daß bei den Tieren alles perfekt gelaufen ist. Das beruhigt nur bedingt.
Die Hälfte von uns soll mit der Spritze tatsächlich das neue Medikament bekommen, die andere Hälfte ein Placebo. Keiner weiß, was in seiner Spritze drin ist. Aber alle kommen danach erstmal auf die Intensivstation. Klingt wie eine Lotterie. Wer unter
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