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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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Kopf.
    –   Nee. Diese Grenze gibt es bei uns nicht. Natürlich hat auch bei uns erstmal jeder Tote den gleichen Wert. Aber nicht den gleichen Nachrichtenwert. Nehmen wir das Beispiel mit dem Unfall des ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Althaus, der eine Skifahrerin totgefahren hat. Daß das überall in den Nachrichten kam, lag nicht an der toten Frau, obwohl das ja eigentlich das Schlimmste war. Aber es gibt unzählige solcher Unfälle. Das Thema war: Was bedeuten der Unfall des Ministerpräsidenten und seine Verletzungen jetzt für Thüringen? Wie geht er mit der Schuldfrage um? Es ging nicht um die Tote. Wenn »Fritz Müller« die totgefahren hätte, wäre das nirgendwo gekommen.
    Mir fallen viele solcher Beispiele ein. Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs, über den ausgiebig als kulturelle Katastrophe berichtet wurde, wobei die beiden Menschen, die bei demHauseinsturz ihr Leben verloren, kaum wahrgenommen wurden.
    –   Wie viele Tote muß es bei einem Grubenunglück in China geben, damit das in der Tagesschau kommt?
    Hähnel schüttelt wieder den Kopf.
    –   Da gibt es keine Regeln. Es geht ja zum Beispiel auch darum, ob es ein nachrichtenarmer Tag ist. Oder ob es eine Dimension gibt, die über das eigentliche Unglück hinausgeht. Etwa Sicherheitsprobleme, die zu Unruhen führen könnten. Grundsätzlich gilt: China ist weit weg von der Nachrichtenwelt unserer Zuschauer. Und je weiter das Ereignis weg ist, desto größer muß die Dimension, um so mehr Tote müssen es sein. Drei Tote? Keine Chance. Hundertzwanzig? Das ist schon ein großes Ausmaß. Bei 500 Toten kommt es sicher in die Sendung. Die Frage ist dann, ob 30 Sekunden lang als Nachricht im Film oder eine Minute dreißig mit einem Reporter vor Ort. Über so was wird dann diskutiert.
    –   Von wem?
    –   Der großen Konferenz. Das sind etwa 15 Redakteure, einschließlich der beiden Chefredakteure. Wenn wir uns überhaupt nicht einig werden, was sehr, sehr selten vorkommt, entscheiden die dann, was wie gemeldet wird.
    Klingt wie eine Nachrichtenwertbörse.
    –   Und bei einem Verkehrsunfall in Deutschland – ab welcher Opferzahl kommt das in der Tagesschau ?
    Hähnel schüttelt schon wieder den Kopf.
    –   Kommt so gut wie nie vor. Unglücke oder Familientragödien sind nichts für uns. Wir sind seriös und im Zweifelsfall lieber langweilig.
    –   Ein Reisebus mit deutschen Kindern?
    –   … der auf glatter Fahrbahn verunglückt, wobei zehn Kinder ums Leben kommen und 20 verletzt werden? Da würden wir schon überlegen.
    Okay, dann also jetzt die entscheidende Frage.
    – Wie kann ich einen Nachrichtenwert bekommen, der für die Tagesschau reicht?
    Hähnel hält den Kopf ruhig und schweigt, was wohl soviel wie »keine Chance« bedeutet.
    –   Wenn mich ein Ministerpräsident totfährt?
    Hähnel nickt.
    –   Wenn ich ein schlimmes Verbrechen mit einer politischen Dimension begehe?
    –   Jo. Amoklauf ist auch ein sicherer Tip.
    –   Ich bekomme den Nobelpreis?
    –   Sicher.
    –   Den Oscar als bester männlicher Hauptdarsteller?
    –   Auch.
    –   Danke.
    Nun will ich keinem Ministerpräsidenten auf der Skipiste begegnen, auch meine kriminellen Neigungen möchte ich weiterhin so gut es geht im Zaum halten. Meine Nobelpreischancen schätze ich so realistisch ein wie meine Oscar-Aussichten. Ich finde mich also damit ab: Ich habe keinen Nachrichtenwert, zumindest nicht jetzt und nicht für die Tageschau. Allerdings kann ich schon auf ein paar kleine Erfolge zurückblicken: Als Baby gab es mal ein Foto von mir in einer Lokalausgabe der Westfalenpost . Es ging um Schluckimpfung, aber nicht wirklich um mich. Zumindest wurde mein Name nicht erwähnt, was mich damals aber nicht gestört hat.

26.
»Werthgegenstand hoher Bedeutung«.
Ein Blick zurück
    In der Berliner Staatsbibliothek stoße ich auf ein Büchlein mit dem Titel Der Werth des Menschen . Es handelt sich dabei nicht um ein philosophisches oder theologisches Werk, die kaum 80 Seiten beschäftigen sich ausdrücklich und ausschließlich mit dem »Kostenwerth des Menschen«. Das freut mich.
    Was mich allerdings wundert, ist die Tatsache, daß der Verfasser Ernst Engel seine Überlegungen beziehungsweise Berechnungen nicht im Kontext der letzten Gesundheitsreform oder Weltwirtschaftskrise veröffentlicht hat, sondern bereits im Jahr 1883. Der Königliche Geheime Ober-Regierungsrat Engel war als Direktor des Königlich Preußischen Statistischen

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