Was bisher geschah
den siebziger Jahren die Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) um Ulrike Meinhof und Andreas Baader. Ähnlich wie Linksradikale in den Ex-Achsenmächten Italien und Japan ermorden sie Polizisten, Staatsanwälte, Manager und deren Chauffeure.
Doch mehrheitlich einigen sich Anarchisten, Trotzkisten und Maoisten innerhalb der 68er-Bewegung auf den friedlichen »langen Marsch durch die Institutionen«. Zwar verändern sie keine grundlegenden Machtstrukturen. Immerhin will Willy Brandt aber, als er 1969 das ehemalige NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger als Kanzler ablöst, »mehr Demokratie wagen«. Jedenfalls bewirken die 68er eine Öffnung und Liberalisierung der Gesellschaft. Seither lebt man im Westen in nie gekannter Freiheit und Selbstbestimmung. Allerdings, so warnt der damals einflussreiche Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse, droht eine versteckte Repression und Entfremdung durch Konsum und Kulturindustrie. Sie könne, so Marcuse, von den wahren Problemen beziehungsweise einem entsprechenden Engagement etwa gegen den Vietnamkrieg ablenken.
Die Verbindung von Politischem und Privatem, Symbolund Realpolitik bei den 68ern schlägt sich in dem Motto »Phantasie an die Macht« nieder und hallt 1972 in dem Wahlkampfslogan »Changer la vie« des späteren französischen Präsidenten François Mitterrand nach. Diese Verbindung ist ein Merkmal der 68er, das auf die Frauenbewegung zurückgeht. In den sechziger Jahren ist die Verbreitung der Pille zur Empfängnisverhütung eine der größten Revolutionen im Alltagsleben von Frauen. Anfang des Jahrhunderts streiten Suffragetten aktionistisch für das Wahlrecht (engl. suffrage »Wahl, Stimme«). Sie begeben sich in Hungerstreiks und zerstören medienwirksam Gemälde wie Velázquez’ Venus von Rokeby (um 1650), die sie sexistisch finden. Ihre alternative Kunst des Strickens wiederum werden in den achtziger Jahren Mitglieder der Grünen im deutschen Bundestag demonstrativ auf die politische Bühne heben.
Schon 1929 fordert die Schriftstellerin Virginia Woolf in ihrem Essay A Room of One’s Own ( Ein eigenes Zimmer ) mehr Privatsphäre als Grundlage für eine öffentliche Karriere von Frauen. 1931 schreibt sie das Vorwort für den Sammelband Life as We Have Known It ( So haben wir gelebt ): In diesem herausragenden historischen Dokument schildern Arbeiterinnen ihr entbehrungsreiches Alltagsleben, aber auch ihre Träume, ihr Engagement in Frauengilden, in der Armenfürsorge, in Spar- und Leseclubs. Ihre Lektürelisten zeugen von einem enormen Wissensdurst. Sie umfassen Jane Austens Stolz und Vorurteil (1813), aber auch Fachbücher zum Wechselkurs in Kriegszeiten bis hin zum 400-seitigen Demokratie und Erziehung (1916) von John Dewey, einem Vertreter des Pragmatismus, der der Philosophie nach Hegel etwas mehr Bodenkontakt verschaffen will, indem er anhand von plastischen Beispielen für den Alltag relevante Fragen diskutiert.
Nachdem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein politisches Aufbegehren in der Literatur und der Kunst zum Ausdruck kommt, gilt dies ab Mitte der fünfziger Jahre verstärkt für die Popmusik. Die Tatsache, dass eine Aufbruchsstimmung in der Luft liegt, die Vorstellungen etwa zur Rassenfrage aber noch sehr restriktiv sind, umreißt der Musikproduzent Sam Phillips: »Wenn ich einen weißen Musiker finden würde, der den Negerklang und das Negergefühl hätte, könnte ich eine Million Dollar machen.« Die Lösung des Problems wird Elvis Presley sein, den Phillips 1954 entdeckt. Verkörpern Megastars wie James Dean und Marlon Brando und Ministars wie Andy Warhol und Emory Douglas, der Grafiker und »Minister of Culture« der Black Panther Party, die Rebellion in Bildern, übernimmt die Popmusik in den sechziger Jahren immer mehr Funktionen engagierter Kunst: Auf Demonstrationen singt Bob Dylan mit Joan Baez Bürgerrechtssongs wie »Blowin’ in the Wind«. Davon inspiriert schreibt Sam Cooke seine Soulballade »A Change Is Gonna Come« (1964). Aretha Franklins Song »Respect«, der sich eigentlich auf Beziehungsprobleme bezieht, wird zu einer Hymne des schwarzen Aufbegehrens (1967). Jimmy Cliffs »Vietnam« verbindet Privates und Politisches ebenso wie »Say it Loud I’m Black and I’m Proud« von James Brown, der seine geglättete Frisur durch einen Afro ersetzt.
Musikalische Experimente und politische Aussagen verknüpfen für ein etwas breiteres Publikum die beiden E-Gitarristen Frank Zappa und Jimi Hendrix. In seinem Song »Star
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