Was bisher geschah
Spangled Banner« verwandelt Hendrix beim Woodstock-Festival 1969 die US-Nationalhymne und -flagge akustisch in einen Bombenteppich, um gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren. Die Gewaltbereitschaft mancher 68er und insbesondere die naive Übernahme von Versatzstücken des Mao-Kultes und der Sowjet-Romantik bemängeln wiederum auf kunstvolle Weise die Beatles mit Songs wie »Back in the USSR« und »Revolution«.
Wie revolutionär 68er und »Black Power« in den USA sind, zeigt ein Vergleich mit Brasilien, der anderen großen ehemaligen Sklavennation. Dort formiert sich auch deshalb keine Bürgerrechtsbewegung, weil eine merkwürdige Mischung aus zugleich selbstverständlichem und weniger brutalem Rassismus als in den USA vorherrscht. Ihn hat man in Brasilien später als racismo cordial (»herzlicher Rassismus«) bezeichnet. »Black Power« und »Black is Beautiful« sind schwer durchzusetzen in einem Land, in dem im Jahr 1976 bei einer Volkszählung 135 Hautfarben angegeben werden: »Milchkaffee«, »Morgendämmerung«, »Blau«, »Weiß-rötlich«, »Weiß-honigfarben«, »Weiß-trüb«, »Erhitzte Butter«, »Zimt«, »Wenig klar«. Erst in den neunziger Jahren stärken Magazine wie Raça das afrobrasilianische Selbstbewusstsein mit schwarzen Models bei weißen Hochzeiten, afrikanischen Diäten und Horoskopen.
Zwar lässt die politische Beteiligung von Afroamerikanern auch in den USA auf sich warten. Doch gewinnt die schwarze Kultur mit dem Hip Hop Ende der siebziger Jahre weltweit an Einfluss. Die Ambivalenz der popkulturellen Revolution thematisieren schon die direkten Vorläufer des Hip Hop, The Last Poets, die ihrerseits von der Poesie und dem Sprechgesang des Free Jazz etwa bei John Coltrane, Archie Shepp und Sun Ra inspiriert sind: The Last Poets bauen 1970 in swingend-afrikanischen Rap-Songs wie »When the Revolution Comes« und »Niggers are Scared of Revolution« Redezitate von Malcolm X ein – und warnen zugleich davor, dass revolutionäre Energien von der Unterhaltungs- und Kulturindustrie absorbiert werden. Tatsächlich reicht die Bandbreite des Hip Hop von verkaufssteigernder Gewaltverherrlichung bis zur Forderung, das »CNN der Schwarzen« zu sein, und zum Stop-the-Violence-Rap von KRS One; er will Bildung durch »Edutainment« attraktiv machen. Die einzige Musikrichtung der Rap- und DJ-Kultur, die der Kommerzialisierung fast gänzlich entgeht, ist der Drum & Bass (anfangs Jungle genannt). Er verbindet Einflüsse des Reggae, Ragga, Dub, Techno und Jazz und steht beispielhaft für die Übernahme einiger Qualitäten der Avantgardekunst durch die Popmusik. Kann man in Sachen bürgerlicher Gegenkultur einen historischen Bogen von der Anti-Kunst des Dada zur Anti-Musik des Punk spannen, knüpft Drum & Bass an den Kubismus an und baut ihn aus. Das gilt für die Collage verschiedener Perspektiven, Zeit-, Erkenntnis- und Gefühlsebenen sowie den Versuch, den Star- und Künstlerkult im Kollektiven aufzulösen.
Derart popkulturelle Romantik wird 40 Jahre nach 1968 doch noch im Feld der Realpolitik gebündelt. Als im Jahr 2008 der Song »Yes We Can« des Hip Hop-Musikers will.i.am (William James Adams) als Collage aus Redezitaten mehr oder weniger bekannter Musiker, Sänger und Schauspieler und vor allem des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama auf der Internet-Videoplattform youtube millionenfach angeklickt wird, trägt dies zum Wahlerfolg des ersten schwarzen US-Präsidenten bei. Barack Obama scheint popkulturelle Coolness mit Maßnahmen von historischer Tragweite zu verbinden: etwa der Einführung einer Krankenversicherung für alle, die er im Frühjahr 2010 in einem politischen Kraftakt durch das Repräsentantenhaus bringt. Wie zerrissen die USA selbst 40 Jahre nach’68 ökonomisch wie kulturell sind, zeigt sich allerdings darin, dass republikanische Abgeordnete über die Krankenversicherung als »Umsetzung einer sozialistischen Utopie« schimpfen.
Territorial- und Glaubenskriege, Ölkrise, nukleare Bedrohung: der Konfliktherd Naher Osten
Eine besonders tiefe ideologische Kluft tut sich in Zeiten scheinbarer Entideologisierung beim Blick auf den Nahen Osten auf – zwischen dem religiösen Fundamentalismus und der westlichen Kultur. Zur Herausforderung für eine global koordinierte Krisenpolitik hat sich der Nahe Osten Schritt für Schritt seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt. Seit Ende des Kalten Krieges stellen die Konflikte der Region eine der größten Bedrohungen
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