Was bisher geschah
wird sich bis zur Eroberung durch die Osmanen im Jahr 1453 halten. Selbst danach lebt Rom als »drittes Rom« weiter. Denn als solches wird das Russische Reich beziehungsweise Moskau unter Zar Iwan III. dem Großen und Iwan IV. dem Schreckligen propagiert. Sogar in der Selbstwahrnehmung und -inszenierung der Sowjetunion spielt die Idee vom dritten Rom noch eine gewisse Rolle.
Sucht man in der jüngeren Geschichte nach Nachfolgern Roms, kann man allein im 20. Jahrhundert drei Supermächte nennen: die USA, die UdSSR – und das British Empire, dem bis in die erste Hälfte des Jahrhunderts ein Viertel der Welt angehört. Was den aktuelleren Vergleich zwischen Rom und den USA betrifft, lassen sich eher allgemeine Gründe für einen möglichen Niedergang Amerikas in der Tradition Roms anführen: zum Beispiel Machtüberdehnung, kulturelle Ermüdung, falsche Wirtschaftspolitik und gesellschaftliche Spaltung. Zumindest in Sachen Außenwirkung gibt es eine konkrete Gemeinsamkeit: Sollten die USA im 21. Jahrhundert von China, Indien oder gar Brasilien als Supermacht abgelöst werden, hätten sie diese Länder zuvor mit ihrem way of life ähnlich stark geprägt wie Rom den direkten Nachfolger Byzanz und das römisch-deutsche Kaiserreich ab 800 n. Chr. mit seinem.
KAPITEL VIER
Staatlicher Vegetarismus und machtgierige Weisheitslehrer
Asien von der Antike bis zum Mittelalter: globale Pioniere religiöser Politik
Gerade China und Indien, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts als mögliche Nachfolger der USA in Sachen Supermacht gehandelt werden, haben bereits Erfahrungen mit dem Status. Ziemlich genau in der Zeit, in der sich das Römische Reich im 3. Jahrhundert v. Chr. zur Supermacht aufschwingt, entstehen in Indien und China zwei Reiche, die militärisch, wirtschaftlich und kulturell eine harte Konkurrenz für Rom sein könnten. Doch schon geografisch bedingt kommt man einander nicht in die Quere.
Die zwei Herrscher der ersten chinesischen und indischen Großreiche, Shihuangdi und Ashoka, kennen heute weltweit vielleicht mehr Menschen als die Gründer des West- und Oströmischen Reiches, Romulus und Konstantin. Jedenfalls haben sie ebenso spektakuläre Entwicklungen auf den Weg gebracht wie ihre europäischen Kollegen: Ashoka baut ab 268 v. Chr. ein indisches Großreich aus – das erste, in dem mit dem Buddhismus als Staatsreligion Friedfertigkeit, Wohltätigkeit und sogar Vegetarismus Gesetz werden. Shihuangdi, der erste Kaiser Chinas, der sich selbst so nennt, hebt 221 v. Chr. das erste chinesische Großreich aus der Taufe, das in Bezug auf Staatsgebiet, Verwaltungsstrukturen und Kulturtraditionen bis heute besteht und eines der langlebigsten der Weltgeschichte ist.
Gemeinsam haben Indien und China – und später auch die antiken Tigerstaaten Korea und Japan – die Quelle, aus der sie ihre Kraft schöpfen: Es sind die großen Glaubensund Denksysteme Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Aus deren Mischung von praktischer Organisation und starker Theorie ergibt sich historisch wohl erstmals jene verrückte Kluft, die später auch Europa ab dem Aufstieg des Christentums im Frühmittelalter prägt: die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen der Forderung etwa nach Friedfertigkeit, Sittlichkeit und Transzendenz einerseits, und andererseits einer skrupellosen, brutalen Machtpolitik.
Neu sind nicht die Komponenten, sondern die Kombinationen. Zwar hängen Kult und konkreter Herrschaftsanspruch schon bei den Ägyptern eng zusammen. Doch was die Interaktion und den Widerstreit an sich getrennter politischer und religiöser Systeme und Theorien betrifft, könnte man das antike Asien als eine Art welthistorische Avantgarde sehen. Umso kurioser, dass man die asiatische Verbindung von Religion und Politik und auch Ökonomie im Westen eher spät thematisiert hat. Wenn stattdessen die Vorstellung von einem Asien Verbreitung fand, in dem die Bereiche getrennt seien, zeigt dies beispielhaft, wie stark Historiker unsere Vorstellung von ganzen Kontinenten prägen können.
Max Weber, der Begründer der Religionssoziologie, stellt in seinem einflussreichen Werk Die protestantische Ethik und der ›Geist‹ des Kapitalismus (1904/1920) für das neuzeitliche Europa einen engen Zusammenhang zwischen Religion und Ökonomie her; dabei führen die »innerweltliche Askese«, Entbehrungen und Selbstdisziplin zu materiellem Erfolg und gehören zum protestantischen Lebensstil. Doch für Asien sieht er die Sache
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