Was bisher geschah
Nero hingerichtet, ist er jedoch zunächst nur ein machtloser Märtyrer. Insgesamt lässt der Aufstieg des Papsttums bis ins Frühmittelalter auf sich warten. 325 erkennt das Konzil von Nicäa die Amtsgewalt des römischen Bischofs an, was den Übergang vom Papst als Ehrbezeichnung für den Bischof zum Papst als offiziellem Oberhaupt der katholischen Kirche markiert.
Als echte politische Macht treten die Päpste erst mit Innozenz I. und Leo dem Großen in Erscheinung. Leo macht Geschichte, als er Mitte des 5. Jahrhunderts zunächst den Hunnen den Angriff auf Rom ausredet und dann die Vandalen, die Rom erobern und plündern, durch mühsame Verhandlungen zumindest von den brutalsten Zerstörungen abhält. Wirkungsmächtiger als die realen historischen Umstände ist das bis heute gängige Bild des Papstes, der durch reine Präsenz überzeugt. Es beruht auf gutem Marketing, auf Fresken etwa wie Begegnung Leos I. mit Attila des berühmten Raffael aus dem 16. Jahrhundert, das noch heute bei den Auftraggebern im Vatikan zu sehen ist. Es zeigt, wie der furchtbare Attila in einer Geste des Erschreckens und der Rührung vor dem (unbewaffneten) Papst, der ruhig zu Pferde thront, zurückweicht. Hinter Leo fliegen die Apostel Petrus und Paulus – ganz anders, als Jesus sich das gedacht hatte – als päpstliche Air Force (bewaffnet) durch die Luft.
Wie konnte sich das Christentum im Römischen Reich durchsetzen? Natürlich kann Konstantin inmitten der Zerrissenheit, des Verfalls schlicht eine neue Ideologie der Hoffnung brauchen, einen Glauben, der – jenseits der realen Welt – Mut macht, Hilfe und Erlösung für jedermann verspricht. Zur römischen Kultur passt das Christentum insofern, als die Römer schon vorher stärker als die Griechen zwischen Körper und Geist trennen. Es ist eine in vieler Hinsicht prüde Kultur. Zu den römischen Unterdrückungsmechanismen, Sozialventilen und Möglichkeiten zur Abreaktion zählen nicht nur Zirkusspiele und Prostitution, sondern auch militärische und menschliche Abenteuer in fernen Ländern. Derartiges wird im Mittelalter und in der Neuzeit im durch das Papsttum geprägten Christentum neben den großen Verdiensten wie der friedlichen Mission beziehungsweise der Verbreitung pazifistischen Gedankengutes und der Alphabetisierung stets eine zentrale Rolle spielen.
Wie sehr man sich in Rom nach einer Neuerung sehnt, wird in De origine et situ Germanorum des Historikers Tacitus (um 55 – 120) deutlich: Er meint einerseits, dass germanische Frauen ihre Brüste entblößen, andererseits, dass sie unverdorben durch Orgien und Schauspiele in Keuschheit leben. So schimmert in Tacitus’ Texten eine Art Sehnsucht nach dem »Edlen Wilden« durch – ähnlich der Romantisierung etwa der Ureinwohner Amerikas im 18. Jahrhundert. Mit seiner Darstellung der urgesunden Germanen will Tacitus den dekadenten römischen Kaiserkult kritisieren und auf die heroischen Anfänge Roms verweisen.
Solche Projektionen vergehen den Römern, als die Germanen im 5. Jahrhundert n. Chr. tatsächlich von Eroberten und Foederaten zur Konkurrenz werden. Sie reißen aber nicht einfach die Macht an sich, die Übernahme verläuft fließend. So kämpfen germanische Söldner in römischen Armeen gegen Kelten; Germanen herrschen sogar in Teilreichen und mit vizekaiserlichen Macht- und Steuerbefugnissen. Umgekehrt stellen Germanenkönige Römer als Militärstrategen an. Schließlich setzt der Germane Odoakar 476 den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus ab. Damit leitet er das Ende des Römischen Reiches ein und den Anfang der jahrhundertelangen Herrschaft diverser Germanen über das Heilige Römische Reich deutscher Nation, wie es später genannt wird, das unter anderem Gebiete des heutigen Italien und Deutschland umfasst.
An Einfluss gewinnen die Germanen auch deshalb, weil Westrom innerlich zerstritten und aufgrund einer falschen Wirtschaftspolitik finanziell am Ende ist. Inmitten allgemeiner Armut verfügen allenfalls reiche Senatoren und Großgrundbesitzer über die Mittel, eine Armee aufzustellen. Doch bildet sich keine Front gegen die Germanen. Ganz anders sieht es in Ostrom beziehungsweise Konstantinopel aus, das aus dem Asienhandel hohe Steuereinnahmen bezieht. Als »zweites Rom« tritt es das Erbe des zerrissenen Weströmischen Reiches an. Im Rahmen eines historisch einzigartigen Vorgangs wird das ehemals übermächtige Westrom nach Osten verpflanzt – halb real, halb dem Namen nach. Das »zweite Rom«
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