Was bisher geschah
Erleuchtung. Er findet den Mittelweg zwischen übertriebenem Luxus (Brahmanen) und extremer Askese (Jainismus): Loslassen der Leidenschaften und Begierden.
So bringt Siddharta, der sich jetzt Buddha nennt (»Erwachter«), das »Rad der Lehre« in Gang. Als Schritte zum Erfolg predigt er die »Vier Wahrheiten«, die – ohne Gott – zur Erlösung vom Kreislauf der Wiedergeburten führen: 1.) Alles Leben ist Leid; 2.) Leid entsteht durch Gier und Verlangen; 3.) Das Gegenrezept ist das Loslassen der Gier; 4.) Dabei hilft der »Edle Achtfache Pfad« – rechte Ansicht, rechtes Wollen, rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Lebenserwerb, rechtes Streben, rechte Wachsamkeit und rechte Sammlung.
Mag Buddha auch innerlich loslassen, so weiß er als Fürstensohn doch, wie man rhetorisch zupackt. Als Prediger verschafft er sich Einfluss und Spenden bei lokalen Fürsten und Königen. Er gründet Klöster und soll seinen Ex-Schüler und Konkurrenten Devadatta als »gemeinen Speichellecker« beschimpft haben. Auf dem politischen Feld rät Buddha dem königlichen Minister Vassakara, bei Gegnern des Reiches Zwietracht zu säen, was der Brahmane und Minister dann als eine Art Undercover-Agent gleich selbst tut. Obwohl manche von Buddhas strengen Regeln, zum Beispiel ein Lachverbot, im merkwürdigen Kontrast zum heutigen, gefälligen Bild des Buddhismus stehen, erreicht er das Volk. Es schätzt seine Kritik am Kastenwesen und an den teuren Opfern, den starren Ritualen der Brahmanen. Was gefällt, ist die Erleuchtung, die jeder für sich selbst erlangen kann.
Zwar mag Buddhas Abwandlung des Hinduismus aus heutiger Sicht an Jesus erinnern, der zunächst nur eine Reform des Judentums beabsichtigte. Besser passt aber vielleicht der Vergleich mit Martin Luther (1483 – 1546). Wie der deutsche Reformator verbindet Buddha religiöse Erneuerung mit ausgezeichneten Kontakten zu Fürsten, die ihn schützen und fördern. Wie Luther bringt Buddha gesellschaftlich relevante geistige Reformen in Gang, ohne allerdings auf die Veränderung des politischen Systems zu zielen. In der indischen Reformation entspräche der Hinduismus mit seinen alten, oft leeren Ritualen dem Katholizismus; der Buddhismus, wo der Einzelne bei der Heilssuche stärker auf sich gestellt ist, wäre der Protestantismus. Nachdem Buddha mit 80 Jahren an einem giftigen Pilz- oder Fleischgericht stirbt, geht es im Kampf zwischen Buddhismus und Hinduismus ähnlich hin und her wie nach Luthers Tod zwischen Reformation und Gegenreformation.
Wie die christlichen Reformatoren, aber auch die mittelalterlichen Bettelorden entwickelt sich der Buddhismus bei aller Bescheidenheit bald zu einer weltlichen Macht. Einen seiner ersten und größten politischen Siege erringt der Buddhismus durch König Ashoka (um 300 – 232 v. Chr.). Ashoka macht die Lehre des Gautama zur Staatsreligion des Maurya-Reiches, das sein Vorfahre Chandragupta im 4. Jahrhundert v. Chr. gründet, indem er die Makedonier, die Erben von Alexander dem Großen, vertreibt. Ashoka herrscht nun über ein Gebiet, das vom heutigen Afghanistan bis nach Südindien reicht. Nachdem er um 260 v. Chr. das Konkurrenzreich Kalinga erobert und ein Gemetzel mit angeblich 100 000 Toten anrichtet, packt ihn nach eigener Aussage die Reue. Er konvertiert zum Buddhismus. Fortan will er Dharma, die Rechtschaffenheit, politisch durchsetzen. In 28 Edikten, die er in Stein beziehungsweise Säulen gemeißelt über das Reich verteilen lässt, macht Ashoka Freundlichkeit, Respekt vor Familie, Priestern, Asketen sowie Sparsamkeit zum Gesetz (Edikt III). Er befiehlt einen allgemeinen Vegetarismus und das Errichten von Rasthäusern und Brunnen alle 15 Kilometer entlang den Straßen (Edikt VII).
Anderen Berichten zufolge ist Ashoka allerdings ein Brudermörder, ein brutaler Folterer, der im Jähzorn Haremsdamen verbrennen lässt und Minister enthauptet. Solche Geschichten mit übertriebenen Zahlenangaben könnten ein rhetorisches Mittel buddhistischer Legendenschreiber sein: Betont man zunächst seine Grausamkeit, erscheint die spätere Bekehrung umso spektakulärer. In dem Bollywood-Film Asoka (2001) mit Shahrukh Khan, Kareena Kapoor und den üblichen Gesangseinlagen wandelt sich der Held aus Liebeskummer, wegen des (vermuteten) Verlustes seiner Frau vom stets gutgelaunten Spitzbub zum Massenmörder. Historisch hat Ashokas Widersprüchlichkeit auch schlicht mit der zeitgenössischen Unterscheidung zwischen dem »Rad des Dharma« (Religion, Moral)
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